Anamnese
Eine 86-jährige Patientin wird aufgrund von Schwindel mit Bewusstlosigkeit vom Notarzt in der Notaufnahme vorgestellt. Im EKG zeigte sich eine Tachyarrhythmia absoluta (bis 130/min), woraufhin 5 g Magnesium intravenös verabreicht wurden. Daraufhin wurde die Patientin zunächst bradykard (45 bpm) und hypoton (50/20 mmHg), anschließend asystol. Nach 30-sekündiger Thoraxkompression kam es zur Rückkehr eines Spontankreislaufs mit Vorhofflimmern. Bei der Laborkontrolle lag der Magnesium-Wert bei 2,21 mmol/l (Normwert bis 1,05 mmol/l) und der Natrium-Wert bei 126 mmol/l (Normwert 135–146 mmol/l). Die weiteren Elektrolyte waren normwertig.
Medikation
Wirkstoff | Stärke | Darreichungsform | Einnahmeschema | Grund | |
Magnesium | 5 g | INF | Tachyarrhythmia absoluta | ||
Simvastatin | 40 mg | TAB | 0-0-1 | Kardiovaskuläre Prävention | |
Metoprolol | 23,75 mg | TAB | 0-0-1 | Arterielle Hypertonie | |
Apixaban | 5 mg | TAB | 1-0-1 | Vorhofflimmern | |
L-Thyroxin | 50 µg | TAB | 1-0-0 | Hypothyreose | |
Levetiracetam | 500 mg | TAB | 1,5-0-2 | Epilepsie | |
Ramipril | 5 mg | TAB | 0,5-0-0,5 | Arterielle Hypertonie | |
Carbamazepin | 600 mg | TAB | 1-0-1 | Epilepsie | |
Amlodipin | 5 mg | TAB | 0,5-0-0 | Arterielle Hypertonie | |
Letrozol | 2,5 mg | TAB | 0-0-1 | Z. n. Mamma-Ca |
Diagnose
- Pulslose elektrische Aktivität, Differentialdiagnose: Magnesiumintoxikation
- Intermittierende höhergradige AV-Blockierungen
- Langanhaltend persistierendes Vorhofflimmern
- Akute, kardiale Dekompensation vom NYHA-Stadium II–III
Therapie
- Thoraxkompression (30 s)
- Intensivmedizinische Versorgung
- Schrittmacherimplantation
Pathomechanismus
Magnesium spielt bei vielen physiologischen Prozessen eine wichtige Rolle. Gerade für die Aktivität diverser Enzyme ist es von zentraler Bedeutung, sei es durch Bindung an Liganden wie ATP, direkte Bindung an das aktive Zentrum von beispielsweise Pyruvatkinasen oder Phosphatasen, durch Konformationsänderung während katalytischer Prozesse z. B. in Na+/K+-ATPasen, oder auch durch Förderung der Aggregation von Multienzymkomplexen, wie die Aldehyd-Dehydrogenase [1, 2].
Außerdem reguliert Magnesium den Glucose-, Fettsäure- und Proteinstoffwechsel, ist bei der Kontrolle der neuromuskulären Funktion beteiligt und Second-Messenger in der intrazellulären Signalweiterleitung [3].
Neben anderen Organen wie Lunge oder Gehirn ist besonders das Herz auf Magnesium angewiesen. Dabei reguliert das zweiwertige Kation die Aktivität von Ionenkanälen und somit die Kontraktilität des Herzmuskels. Des Weiteren hat Mg2+ antiinflammatorische und vasodilatatorische Effekte [4].
Intravenös appliziertes Magnesium wird in der Notfallmedizin eingesetzt bei ventrikulären Tachykardien, im speziellen bei Torsade-de-Pointes-Tachykardien [5]. Dass es dabei zu einer Hypermagnesiämie (ab 1,1 mmol/l) kommt, ist sehr selten, kann im schlimmsten Fall aber zu lebensbedrohlichen Asystolien führen [4]. Wie bereits erwähnt, interagiert Magnesium mit Ionen-Kanälen, so auch mit Calcium-Kanälen. Diese werden blockiert, wodurch mit sinkender Calcium-Konzentration die Kontraktilität des Myokards sinkt – die Frequenz nimmt ab [1]. Pathologische Magnesium-Konzentrationen können außerdem die Erregbarkeit und Erregungsweiterleitung im Herzen beeinträchtigen [6]. In schweren Fällen (> 5 mmol/l) kann es so zu einer Asystolie kommen. Besonders betroffen sind dann Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und erst ab einem Magnesium-Spiegel von 2,00 mmol/l, vorher bleiben die meisten symptomlos. Durch orale Magnesium-Zufuhr sind solche Werte praktisch nicht zu erreichen, wird es allerdings parenteral appliziert, sollte der Herzrhythmus engmaschig kontrolliert werden [5].
Ob die Magnesium-Gabe in diesem Fall ursächlich für die kurze Asystolie war, kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Der direkte zeitliche Zusammenhang spricht zumindest für eine Mitursache des intravenös verabreichten Magnesiums. Die klinische Problematik dürfte hier durch das Carbamazepin verschlimmert worden sein, da es Überleitungsstörungen wie AV-Blockierungen auslösen kann und bei diesen sogar kontraindiziert ist. Zudem führt Carbamazepin häufig zu Hyponatriämien, die auch zu AV-Blockierungen führen können [8].
Insgesamt hat Carbamazepin als starker CYP3A4-Induktor ein hohes Interaktionspotenzial, so kann es auch die Plasmakonzentration von Apixaban, Amlodipin, L-Thyroxin und Simvastatin senken.
Außerdem fällt auf, dass das Simvastatin mit 40 mg über der in Kombination mit Amlodipin zugelassenen Dosierung liegt [9]. Amlodipin hemmt dem Abbau von Simvastatin über CYP3A4, was das Risiko für unerwünschte Wirkungen erhöht, wobei die klinischen Konsequenzen hier bei gleichzeitiger Gabe eines Enzyminduktors schwer abzuschätzen sind [9].
Wichtige Hinweise – Lessons learned
- Indikationsstellung für eine parenterale Mg2+-Gabe genau prüfen.
- Besondere Vorsicht bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen oder eingeschränkter Nierenfunktion [5].
- Parenterale Gabe von hochdosiertem Magnesium nur unter Monitoring wie EKG-Überwachung [5].
- Bei Magnesium-Intoxikation kann eine intravenöse Therapie mit Calcium erwogen werden, in sehr schwerwiegenden Fällen ist möglicherweise eine Hämodialyse erforderlich [7].
- Interaktionspotenzial von Carbamazepin beachten.
Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Julia Groß1, Prof. Harald Dormann1, Prof. Renke Maas2, Dr. Barbara Pfistermeister1
1 Klinikum Fürth
2 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie

Quellen
- Swaminathan R. Magnesium metabolism and its disorders. Clin Biochem Rev 2003;24:47–66.
- Guerrera MP, et al. Therapeutic uses of magnesium. Am Fam Physician 2009;80:157–62.
- Touyz RM, et al. Magnesium disorders. N Engl J Med 2024;390:1998–2009. doi: 10.1056/NEJMra1510603.
- de Baaij JH, et al. Magnesium in man: implications for health and disease. Physiol Rev 2015;95:1–46. doi: 10.1152/physrev.00012.2014.
- Micke O, et al. Magnesium: Bedeutung für die hausärztliche Praxis – Positionspapier der Gesellschaft für Magnesium-Forschung e. V. Dtsch Med Wochenschr 2020;145:1628–34. doi: 10.1055/a-1166-7229.
- DiCarlo LA Jr, et al. Effects of magnesium sulfate on cardiac conduction and refractoriness in humans. J Am Coll Cardiol 1986;7:1356–62. doi: 10.1016/s0735-1097(86)80157-7.
- Jahnen-Dechent W, Ketteler M. Magnesium basics. Clin Kidney J 2012;5:i3–i14. doi: 10.1093/ndtplus/sfr163.
- Fachinformation Timonil® 300 retard, Stand November 2023.
- Fachinformation Simvastatin-ratiopharm 10 mg/20 mg/40 mg/80mg Filmtabletten, Stand März 2023.
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