Implantation von Disulfiram-Tabletten zur Alkoholabstinenz 

Anamnese

Ein 50-jähriger Mann mit glutealem Abszess links wird über die Zentrale Notaufnahme aufgenommen. Er berichtet von einer vor 12 Tagen in Polen stattgehabten Implantation von „Disulfiramträgern“ i.m. in den Gesäßmuskel zur Behandlung einer Alkoholkrankheit.

Diagnose und Therapie

Abszessbildung nach i.m. Implantation von „Disulfiramträgern“.
Abszessexzision und Entfernung der Implantate (Abb. 1).
Postoperative kalkulierte Antibiose und bedarfsweise Analgesie. 

Abb. 1. Entfernte DisulfiramImplantate. Aufnahme Klinikum Fürth

Anwendung von Disulfiram zur Alkoholabstinenz

Disulfiram wird trotz schwacher Datenlage schon lange zur Behandlung der Alkoholkrankheit eingesetzt [1]. Es wirkt, in dem es den Alkoholabbau durch die Hemmung des Enzyms Aldehyd-Dehydrogenase (ALDH) blockiert, wodurch es zu einer Akkumulation von Acetaldehyd und dem Acetaldehydsyndrom mit Unverträglichkeitsreaktionen wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Hautrötungen kommt.

Abb. 2. Wirkungsmechanismus von Disulfiram durch Eingriff in den Abbau von Ethanol über Acetaldehyd zu Essigsäure.
ADH: Alkoholdehydrogenase; ALDH: Aldehyddehydrogenase

Diese negative Verstärkung soll zu einer Vermeidung erneuten Alkoholkonsums führen [1]. Laut Metaanalyse sind verblindete klinische Studien nicht sinnvoll, da der psychologische Einfluss (Angst vor Acetaldehydsyndrom), der für die Verhaltensänderung wesentlich scheint, gleichermaßen in der Verum- wie in einer Kontrollgruppe besteht [2]. Gefährliche Nebenwirkungen sind Herz- und Kreislaufreaktionen bis zu einem möglicherweise tödlich endenden Kreislauf-Schock [3].

Eine Verbesserung der Adhärenz wurde durch Implantation von Disulfiramträgern versucht, wobei nur Wirkspiegel auf Placebo-Niveau erreicht wurden, aber häufig Komplikationen wie Wundinfektionen, Abszess und Abstoßungsreaktionen beobachtet wurden [4, 5]. Disulfiram ist zum Alkoholentzug aufgrund der negativen Nutzen-Risiko-Bewertung in Deutschland nicht mehr zugelassen [6].

Disulfiram – Implantate und Medizintourismus

Der Patient erhielt die Implantation seiner Disulfiramträger in Polen. Auffällig ist hierbei, dass es laut der ABDA-Datenbank für Internationale Fertigarzneimittel keine zugelassenen Darreichungsformen von Disulfiram gibt, die zu einer Implantation geeignet sind. In einem Artikel ist die Rede von sterilen Tabletten der Firma Polfa Waszawa S.A. (Disulfiram WZF 100 mg x 10 Tabletten zur Implantation) [4], in der internationalen Datenbank tauchen diese allerdings nicht auf.

Normalerweise bestehen Implantate aus bioabbaubaren Polymeren, die sterilisiert werden und aus denen der Wirkstoff freigesetzt wird [7, 8]. Nur hochpotente Wirkstoffe mit Tagesdosen im Mikrogramm-Bereich und einer angemessenen therapeutischen Breite sind für diese Darreichungsform geeignet [9, 10]. Die normale Dosierung für Dilsufiram bei oraler Therapie liegt bei zwei bis drei Einnahmen einer 400-mg-Tablette pro Woche [11] und erfüllt somit nicht die Voraussetzung für einen Wirkstoff, der als Implantat über eine Dauer von mehreren Monaten gegeben werden kann. Eine Implantation von acht Disulfiram-Tabletten mit jeweils 100 mg Wirkstoff entspricht somit gerade mal der benötigten Wirkstoffmenge für eine Woche.

Der vorliegende Fall zeigt, dass Medizintourismus ins osteuropäische Ausland immer noch stattfindet. Mehrere Websites werben auf Deutsch für Disulfiramimplantate im Ausland mit einer hohen Erfolgsquote sowie einem sicheren und schmerzfreien Eingriff. Ein Anbieter bietet sogar in einem „VIP-Paket“ im Gegensatz zur Standard-Variante eine Spritze mit Antibiotika an, die Infektionskomplikationen vermeiden soll [12]. 

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Disulfiram wird entsprechend der S3-Leitlinie zur Alkoholabstinenz nicht empfohlen.
  • Disulfiram ist in Deutschland zur Therapie nicht mehr zugelassen.
  • Von einer Implantation von Disulfiram ist aufgrund fehlender Wirksamkeit und schwerwiegenden Komplikationen abzuraten.

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Dr. rer. nat. Barbara Pfistermeister, Sandra Voinea, Dr. med. Anja Knüppel-Ruppert, Dr. med. Marina Karg, Prof. Dr. med. Harald Dormann, Sven Henne

Quellen

  1. Rösner S, Grosshans M, Mutschler J. Disulfiram: Aktuelle Befundlage und Wirkmechanismen. Suchtmed 2014;16(2):47–52.
  2. Skinner M D, Lahmek P, Pham H, Aubin H. Disulfiram efficacy in the treatment of alcohol dependence: A meta-analysis. PLOS ONE 2014;9(2):e87366. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3919718/
  3. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-072018/wenige-pharmaka-zugelassen/ (aufgerufen am 17.11.2022).
  4. Sezgin B, et al. Disulfiram implantation for the treatment of alcoholism: Clinical experiences from the plastic surgeon’s point of view. Arch Plast Surg 2014;41:571–5. http://dx.doi.org/10.5999/aps.2014.41.5.571
  5. Alkoholismus: Medizintourismus nach Polen für Disulfiram-Implantate. a-t 1996;(5):47.
  6. S3-Leitlinien „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ (aktualisiert: 2020), AWMF-RegisterNr. 076-001, https://dggpp.de/leitlinien/s3ll-alkohol_20201111.pdf (aufgerufen am 06.12.2022).
  7. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/inhalt-08-2003/pharm3-08-2003/ (aufgerufen am 06.12.2022).
  8. Müller RF, Hildebrand GE. Pharmazeutische Technologie: Moderne Arzneiformen. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 1997:195.
  9. Müller RH, Hildebrand GE. Pharmazeutische Technologie: Moderne Arzneiformen. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 1997:188.
  10. https://a-m-w.eu/leistungen-produkte/implantate/ (aufgerufen am 06.12.2022).
  11. https://praxis-suchtmedizin.ch/praxis-suchtmedizin/index.php/de/alkohol/medikamentoese-optionen/disulfiram (aufgerufen am 06.12.2022).
  12. https://nasz-gabinet.pl/de/disulfiram/ (aufgerufen am 15.11.2022).

Kontakt

Klinikum Fürth
Studienzentrale der Zentralen Notaufnahme
Jakob-Henle-Straße 1
90766 Fürth

Falls Sie Fragen zu den Nebenwirkungen des Monats haben, schreiben Sie uns eine E-Mail an: zna-studienzentrale@klinikum-fuerth.de