Anamnese
Ein 70-jähriger Mann wird aufgrund eines Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus bereits seit über einem halben Jahr mit FOLFOX (5-Fluorouracil, Oxaliplatin, Folinsäure) therapiert. Aufgrund einer Herpes-Zoster-Infektion bekommt er von seinem Hausarzt Brivudin für eine Woche verordnet und der nächste geplante Chemotherapiezyklus in der onkologischen Praxis wurde um eine Woche verschoben. Über die Brivudin-Therapie wurde der behandelnde Onkologe erst nach der Gabe des nächsten Chemotherapiezyklus informiert. Einige Tage später wird der Patient wegen einer starken Mukositis mit zunehmenden Schluckbeschwerden und Schmerzen beim Essen von der onkologischen Praxis stationär eingewiesen.
Medikation
Wirkstoff | Stärke | Darreichungsform | Einnahmeschema | Indikation | |
Metoprolol | 95 mg | TAB | 0,5-0-0,5 | Sekundärprävention bei KHK | |
Acetylsalicylsäure | 100 mg | TAB | 1-0-0 | Sekundärprävention bei KHK | |
Rosuvastatin | 40 mg | TAB | 0-0-1 | Sekundärprävention bei KHK | |
Allopurinol | 300 mg | TAB | 0-0-0,5 | Hyperurikämie | |
Eisen-II-Sulfat | 50 mg | TAB | 0-0-1 | Eisenmangel | |
FOLFOX (5-FU, Oxaliplatin, Folinsäure) | letzter Zyklus 1 Woche vor Aufnahme | Plattenepithelkarzinom des Ösophagus |
5-FU: 5-Fluorouracil; TAB: Tablette; KHK: Koronare Herzkrankheit
Diagnose
- Mukositis Grad III und Leukopenie bei 5-Fluorouracil Intoxikation
Therapie
- Aussetzen der Chemotherapie (Brivudin war bereits abgesetzt)
- Mehrfache Gaben von Filgrastim 30 Mio. E./0,5 ml bei Neutropenie nach Chemotherapie
- Weitere Maßnahmen: lokale Mundpflege, Schmerztherapie und parenterale Ernährung
Pathomechanismus
Fluorouracil (5-FU) ist ein Tumortherapeutikum und unter anderem zugelassen für die Therapie von gastrointestinalen Tumoren [1]. Es wird als Antimetabolit an Stelle des Uracil in die DNA eingebaut und stoppt die weitere Synthese, indem es die Umwandlung von Desoxyuridylsäure in Thymidylsäure blockiert.
Brivudin ist zugelassen bei der Behandlung von Herpes Zoster bei immunkompetenten Erwachsenen [6]. Als eines der potentesten Nukleosidanaloga inhibiert der aktive Metabolit von Brivudin, das Brivudin-Triphosphat, die virale DNA-Polymerase, sodass das Virus sich nicht replizieren kann [3].
Der Hauptmetabolit Bromvinyluracil ist ein irreversibler Hemmstoff der Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD). Die DPD reguliert zum einen den Metabolismus physiologische Nukleoside und baut zum anderen Pyrimidin-basierte Arzneimittel (AM) wie 5-FU ab. Da die DPD inhibiert ist, akkumuliert 5-FU im Körper und führt zu verstärkter Toxizität [5]. Brivudin darf deshalb nicht zusammen mit 5-Fluorouracil angewendet werden. Das gilt auch für topisch anzuwendende 5-FU-haltige Arzneimittel, 5-FU-Prodrugs (z. B. Capecitabin, Floxuridin, Tegafur) oder andere 5-Fluoropyrimidine (z. B. Flucytosin). Wegen der irreversiblen Hemmung der DPD durch Brivudin muss dabei zwischen einer Behandlung mit Brivudin und mit 5-FU-haltigen AM ein zeitlicher Abstand von mindestens vier Wochen eingehalten werden [1, 2]. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme wird die Ermittlung der DPD-Aktivität empfohlen, wenn Patienten, die im Vorfeld Brivudin erhalten haben, kurzfristig mit 5-FU-haltigen AM behandelt werden sollen.
Symptome der 5-FU-Intoxikation sind Übelkeit, Erbrechen, schwere Schleimhautentzündung, Blutung des Magen-Darm-Traktes, Neutropenie und Knochenmarkdepression [1]. Als Antidot gibt es Uridintriacetat, das in Europa allerdings nicht zugelassen ist [7].
Wichtige Hinweise – Lessons learned
- Die Gabe von Brivudin bei Patienten unter Chemotherapie mit 5-FU-haltigen Arzneimitteln oder seinen Prodrugs (wie Capecitabin, Flouridin, Tegafur) ist absolut kontraindiziert. Dies gilt auch für die topische Anwendung [5].
- Zwischen der Anwendung von Brivudin mit 5-FU-haltigen Arzneimitteln müssen mindestens vier Wochen Pause eingehalten verwenden [3].
- Volle Funktionstüchtigkeit der DPD ist in der Regel 18 Tage nach der Brivudin-Einnahme wiederhergestellt [2].
- Vor der Behandlung mit 5-FU-haltigen Arzneimitteln sollte die DPD-Aktivität bestimmt werden [6].
- Mit der Behandlung mit Brivudin kann bereits 24 Stunden nach der letzten Gabe von 5-FU-haltigen Arzneimitteln begonnen werden.
- Vor der Gabe von Zytostatika sollten die Patienten noch einmal nach Medikamenten gefragt werden, die sie seit dem letzten Zyklus erhalten haben.
Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Alessia Bräuer1, Prof. Harald Dormann1, Prof. Renke Maas2, Dr. Martina Weidinger, Dr. Barbara Pfistermeister1
1 Klinikum Fürth
2 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Klinische Toxikologie

Quellen
- Fachinformation 5FU medac 50 mg/ml, Injektionslösung, Stand Juni 25.
- Fachinformation Brivudin Aristo 125 mg, Tabletten, Stand Juni 25.
- Gelbe Liste: Brivudin.
- Gelbe Liste: Fluorouracil.
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: "Potenziell tödlich verlaufende Wechselwirkung zwischen Brivudin (Zostex®) und 5-Fluoropyrimidinen (UAW - Aus Fehlern lernen)", 07.07.2006.
- Bundesvereinigung Deutscher Apotheker: "PZ 36/12 Information: Rote-Hand-Brief zu potenziell tödlichen Wechselwirkungen zwischen Zostex® und 5-Fluoropyrimidinen", 04.09.2012.
- Deutsche Apotheker Zeitung: "In den USA wird 5-FU- Therapie sicherer", 14.12.2015.
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