"Hyponatriämie durch rezidivierendes Erbrechen?"  

Anamnese

Eine 71-jährige Patientin wird mit Übelkeit und rezidivierendem Erbrechen eingewiesen. Zusätzlich werden Inappetenz, Schwindel und Fallneigung angegeben. 

Aktuelle orale Medikation

HCT 25 mg: 1-0-0-0 ➔ erhöht vor etwa 1 Woche
Mirtazapin 30 mg: 0-0-2-0 ➔ Reduktion hier auf 30 mg/Tag
L-Thyroxin 100 µg: 1-0-0-0
Ramipril 5 mg: 1-0-1-0

Diagnose und Therapie

Schwere Hyponatriämie unter HCT-Einnahme und überhöhter Mirtazapin-Dosis, Exsikkose.                   Initial eine Hyponatriämie von 110 mmol/l. Urinosmolalität > 165 mOsm/kg, Urinnatrium < 20 mmol/l. Unter HCT-Pause, Sterofundin® und zweistündlicher Kontrolle des Natriums zeigte sich ein Anstieg auf 125 mmol/l Natrium.

 NormbereichEinheitMesswert
Kalium3,5–5,0mmol/l3,4 ↓
Natrium136–146mmol/l110 ↓
Chlorid98–106mmol/l80,0↓
Calcium1,15–1,29mmol/l1,0 ↓

Tab. 1. Initiale Elektrolytwerte

Abb. 1. Verlauf des S-Natriums (zweistündliche Kontrolle)

Abb. 2. Diagnostischer Algorithmus bei Hyponatriämie modifiziert nach Spasovski et al. [5, 6].

Pathomechanismus

Im aktuellen Fall haben mindestens zwei Faktoren zur Hyponatriämie beigetragen:

  • Erbrechen (➔ Hypovolämie ➔ niedriger Blutdruck ➔ erhöhtes ADH (antidiuretisches Hormon) zur Gegenregulation ➔ Verdünnung des Serumnatriums durch renal zurückgehaltenes Wasser)
  • das dosiserhöhte Thiaziddiuretikum (HCT) (➔ hemmt vorwiegend im distalen Tubulus reversibel die Natriumresorption (Na+Cl--Carrier) [2]

Cave: Bei diesen Patienten kann es trotz vorsichtiger Therapie (Vollelektrolytlösung zum Ausgleich des Volumenmangels und Absetzen des HCT) zu einem rasanten Anstieg des Serumnatriums kommen. Sobald der Volumenmangel ausgeglichen ist, sinkt das ADH wieder. Unter Polyurie kann es zu einem (zu) schnellen Anstieg des Serumnatriums kommen. Daher ist eine engmaschige Kontrolle nötig und ggf. Gabe einer 5%igen Glucoselösung (elektrolytfrei), um den Na-Anstieg zu verlangsamen.

Bei einer akut entstandenen Hyponatriämie entsteht ein osmotisch wirksamer Gradient (intrazelluläre Natriumkonzentration normal ↔ extrazelluläre Natriumkonzentration niedrig). Zum Ausgleich strömt Wasser ins Zellinnere. Das Volumen der Hirnzellen nimmt zu. Es besteht die Gefahr eines Hirnödems. [11]

 

Abb. 3. Bei akuter Hyponatriämie (b) strömt Wasser entlang des osmotischen Gradienten in die Hirnzelle. Bei länger bestehender Hyponatriämie werden (langsam) kompensatorisch osmotisch wirksame Teilchen (Osmolyte) aus der Zelle geschleust. Dadurch normalisieren sich Zellvolumen und osmotischer Gradient bei chronischer Hyponatriämie (c) [Grafik modifiziert nach 11].

Erbrechen kann im aktuellen Fall (Mit-)Ursache der Hyponatriämie sein oder bereits Symptom eines Hirnödems [3].

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Es wird dringend empfohlen, das therapeutische Vorgehen anhand der Schwere der Symptomatik der Hyponatriämie auszuwählen und nicht nach der Ausprägung der Laborbefunde.
  • Labor: Serumnatrium, Serumosmolalität, Urinosmolalität und Natrium im Urin, Hämatokrit, Kreatinin, Harnstoff, Kalium, BZ, TSH. Bei unglaubwürdig niedrigem S-Natrium, schnelle Kontrolle mittels BGA. Fehlermöglichkeit z.B. durch Hyperlipidämie oder Hyperglykämie. Eine massive Hyperglykämie führt zu falsch-niedrigen Natriumwerten (Korrekturtabellen z.B. „Sodium Correction for Hyperglycemia“ in mdcalc.com).
  • Behebbare Ursachen erkennen und therapieren, siehe diagnostischer Algorithmus
  • Thiaziddiuretika (z.B. Hydrochlorothiazid (HCT), Indapamid, Chlortalidon und Xipamid) sind die häufigste medikamentöse Ursache einer Hyponatriämie. Milde Hyponatriämie: Absetzen des Diuretikums ausreichend [4].
  • Bei der Anwendung von Mirtazapin wurde sehr selten eine Hyponatriämie, wahrscheinlich infolge einer inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) berichtet [1]. Tageshöchstdosis von 45mg beachten! Mirtazapin ggf. schrittweise reduzieren, um Absetzsymptome zu vermeiden.
  • Die allermeisten Fälle von Hyponatriämie sind chronisch (über mehr als 48 Stunden) entstanden. Die intrazelluläre Osmolalität konnte sich langsam der niedrigen Serumnatriumkonzentration anpassen, die Patienten zeigen kaum Symptome. Bei zu schnellem Anstieg der S-Natriumkonzentration wäre nun umgekehrt die Osmolalität extrazellulär höher, es besteht die Gefahr eines osmotischen Demyelinisierungssyndroms (z.B. pontine Myelinolyse). Dabei strömt Wasser aus den Zellen, es kommt zur zerebralen Zellschrumpfung und Myelinverlust. Nach einer Latenzzeit, sekundäre Verschlechterung mit (irreversiblen!) neurologischen Schäden!
    • Unbedingt auf einen langsamen Ausgleich der chronischen Hyponatriämie achten!
    • Die Empfehlungen für die maximale Korrekturrate (Limit) einer Hyponatriämie liegen bei etwa 10mmol/l in 24 h und maximal 18 mmol/l in 48 h [3, 5, 13].
    • Bei Überkorrektur: NaCl-Infusion stoppen, z.B. Glucose 5% i.v. erwägen.

 

Cave Sonderfall: Bei einer Hyponatriämie mit schweren Symptomen (Koma, Krampfanfall, Atemstörungen, Erbrechen), besonders wenn akut aufgetreten (innerhalb von 48 Stunden) handelt es sich um einen Notfall mit potenziell lebensbedrohlichem Hirnödem [5].

  • Therapieeskalation erforderlich, mit dem Ziel, das S-Natrium schnell (um 5 mmol/l in 1 bis 2 Stunden) zu erhöhen.
    • sehr selten
    • Überwachung auf Intensivstation!

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Dr. med. Anja Knüppel-Ruppert, Dr. rer. nat. Barbara Pfistermeister, Dr. med. Marina Karg, Prof. Dr. med. Harald Dormann, Dr. med. Christian Forster
 

Quellen

  1. Fachinformation: Mirtazapin Heumann 15 mg/30 mg/45 mg Filmtabletten
  2. Fachinformation: HCT-ratiopharm 25 mg Tabletten, Stand Oktober 2018, Version 2
  3. SIADH und Hyponatriämie - DGIM Innere Medizin - eMedpedia.pdf
  4. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2022, T. Karow und R. Lang-Roth, 30. Auflage
  5. Spasovski G et al. Clinical practice guideline on diagnosis and treatment of hyponatraemia. Intensive Care Med 2014;40:320-31. doi: 10.1007/s00134-014-3210-2.
  6. https://sop-notaufnahme.de/product/hyponatriaemie/
  7. Schumann U, Gotthardt P. Hyponatriämie in der Notaufnahme. Notfall Rettungsmed 2019 22:445–8. https://doi.org/10.1007/s10049-019-0589-x
  8. Hoorn EJ, Zietse R. Diagnosis and treatment od hyponatremia: Compilation of the Guidelines. J Am Soc Nephrol 2017;28:1340–9. doi: 10.1681/ASN.2016101139.
  9. Hyponatriämien: Wie abklären?_M Bernhard_07-2017. https://news-papers.eu/?p=4905
  10. https://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/arzneiverordnung-in-der-praxis/ausgaben-archiv/ausgaben-ab-2015/ausgabe/artikel/2016/2016-04/hyponatriamie
  11. Lambeck J, et al. Zentrale pontine Myelinolyse und osmotische Demyelinisierungssyndrome. Dtsch Arztebl Int 2019;116:600-6; DOI: 10.3238/arztebl.2019.0600
  12. https://www.amboss.com/de/wissen/Elektrolytstörungen_Natrium/
  13. https://www.aekno.de/aerzte/rheinisches-aerzteblatt/ausgabe/artikel/2019/mai-2019/vorsicht-beim-ausgleich-einer-hyponatriaemie

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