Myopathie/Rhabdomyolyse unter Atorvastatin 

Anamnese

Ein 80-jähriger Mann wird mit akuten Gliederschmerzen und allgemeiner Schwäche sowie Verdacht auf Herzschrittmacher-Dysfunktion notfallmäßig in unsere Klinik eingewiesen.

Aktuelle Medikation

Tab. 1. Häusliche Medikation des Patienten

ASS 100 mg Tbl.1-0-0-0
Allopurinol 300 mg Tbl.0-0-1-0
Atorvastatin 20 mg Tbl.0-0-1-0
Bisoprolol 5 mg Tbl.1-0-1-0
Folsäure 5 mg Tbl.1-0-0-0
Metformin 500 mg Tbl.1-0-1-0
Pantoprazol 40 mg Tbl.1-0-0-0
Empagliflozin 10 mg Tbl.1-0-0-0
Torasemid 10 mg Tbl.1-0-0-0
Spiriva® Respimat® 2,5 µg1-0-0-0
Amiodaron 200 mg Tbl.1-0-0-0

Diagnose

  • Myopathie bei Rhabdomyolyse unter Statineinnahme in Kombination mit Amiodaron (CK 11.000 U/I – im Verlauf 40.000 U/I)
  • V. a. prärenales akutes Nierenversagen

Vorgehen: Absetzen von Atorvastatin und Amiodaron, Flüssigkeitssubstitution und Diuretikatherapie.  

Pathomechanismus

Atorvastatin hemmt das Enzym 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-Coenzym-A(HMG-CoA)-Reduktase, welches in der Cholesterolbiosynthese Katalysator der Reaktion von HMG-CoA zu Mevalonat ist. Durch das Fehlen dieses Schritts wird die Cholesterolbiosynthese unterbrochen und der Cholesterolspiegel sinkt [5].

Amiodaron zählt zu den Klasse-III-Antiarrhythmika und wird bei (supra-)ventrikulären Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Außerdem hemmt Amiodaron u. a. die Cytochrom-P450-Enzyme CYP2C9, CYP2D6, CYP3A4 und das P-Glykoprotein (P-gp). Aufgrund der langen Halbwertszeit von Amiodaron (interindividuell zwischen 20 und 100 Tagen), bleibt das Interaktionsrisiko auch nach Absetzen einige Zeit bestehen [1, 4].

Durch die Interaktion zwischen Atorvastatin und Amiodaron, kann die Plasmakonzentration von Atorvastatin erhöht werden. Dies steigert das Risiko für eine Myopathie oder Rhabdomyolyse. Eine Myopathie unter Statineinnahme ist meist reversibel [2, 4, 6].

Tab. 2. Übersicht Statine und ihr Metabolismus [3].

WirkstoffMetabolismusBegleitmedikation mit potenten CYP3A4-Inhibitoren
SimvastatinCYP3A4kontraindiziert
LovastatinCYP3A4kontraindiziert
AtorvastatinCYP3A4vermeiden/kontraindiziert
PravastatinKeine signifikante Metabolisierung über CYP450 mit Vorsicht
Fluvastatinv. a. CYP2C9 (kaum CYP3A4)mit Vorsicht
RosuvastatinKeine signifikante Metabolisierung über CYP450 (begrenzte Metabolisierung [ca. 10 %], hauptsächlich CYP2C9)mit Vorsicht

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Risikofaktoren für eine Myopathie sind u. a. [3]:
    • Alter > 80 Jahre
    • Hohe Statindosis
    • Eingeschränkte Nieren-, Leberfunktion
    • Geringes Körpervolumen, Gebrechlichkeit
    • Begleiterkrankungen (z. B. akute Infektionen, Diabetes mellitus)
    • Weibliches Geschlecht
    • Arzneimittelinteraktionen
  • Falls Statintherapie unverzichtbar, Umstellung auf ein Statin ohne Metabolismus über CYP3A4 [3]
  • Sensibilisierung des Patienten für Symptome einer Myopathie/Rhabdomyolyse (Muskelschwäche/-schmerzen, Muskelkrämpfe, dunkler Urin) [3]
  • Bei Auftreten von Symptomen: Messung der CK-Aktivität, bei Erhöhung über das 5-Fache des Normwerts Abbruch der Therapie [2]

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Miriam Specht, Prof. Dr. Harald Dormann, Dr. Barbara Pfistermeister

Quellen

  1. Fachinformation Cordarex 200 mg Tabletten; Stand November 2021.
  2. Fachinformation Sortis 40 mg Tabletten; Stand Januar 2024.
  3. Farker, K. Arzneimitteltherapiesicherheit: Myopathie-Risiko durch Statine. AVP, 2015.
  4. Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2020.
  5. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Atorvastatin_26485 (abgerufen am 01.07.2024)
  6. S1-Leitlinie (AWMF): Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien, Prof. Dr. Dieter Heuß, 2020. (Stand: 18.06.2024)

Kontakt

Klinikum Fürth
Studienzentrale der Zentralen Notaufnahme
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