Serotonin-Syndrom nach Aripiprazol-Verordnung

Anamnese

Ein 40-jähriger Patient wurde aufgrund seiner Depression neu auf Aripiprazol eingestellt. Zusätzlich wurde die Dosis des bereits länger eingenommenen Escitalopram erhöht. Drei Tage nach der Therapieumstellung stellt er sich in unserer Notaufnahme vor und klagt über einen leichten Tremor, Unruhe und einen beschleunigten Puls. Zudem hat er Kopfschmerzen, eine erhöhte Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und sieht Doppelbilder. Nach Untersuchungen und ärztlichem Rat, Aripiprazol nach Rücksprache mit seinem Psychiater wieder abzusetzen und eine Dosisreduktion von Escitalopram auf 5 mg durchzuführen, wird er entlassen. Nach zwei Tagen wird er erneut vorstellig. Die Therapie wurde noch nicht beendet, dadurch hat er nun zunehmend stärkere Beschwerden sowie zusätzlich Durchfall, Übelkeit, Schlafstörungen und Kopfschmerzen.

Medikation

WirkstoffStärkeDarreichungsformEinnahmeschema
Atorvastatin40 mgTabletten0-0-1
Escitalopram10 mgTabletten1,5-0-0
Oxycodon20 mgKapseln1-0-1
Metamizol500 mgTabletten2-2-2-2
Aripiprazol20 mgTabletten1-0-0
Lorazepam1 mgTablettenBei Bedarf
Biperiden2 mgTablettenBei Bedarf

Diagnose

  • Serotonerges Syndrom
  • Tremor als unerwünschte Arzneimittelwirkung des Aripiprazol

Therapie

  • Aripiprazol und Escitalopram pausiert
  • Therapieumstellung zur gewohnten Medikation mit Amisulprid 400 mg einmal täglich  
  • Biperiden 2 mg weiterhin bei Bedarf (Tremor)

Pathomechanismus

Das Serotonin-Syndrom entsteht durch einen Serotonin-Überschuss im synaptischen Spalt wodurch die postsynaptischen Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A und 5-HT2A) überstimuliert werden und überschießende toxische Effekte auslösen [1]. Es ist ein potenziell lebensbedrohliches Syndrom, das durch die Verwendung von serotonergen Arzneimitteln, durch eine Überdosierung oder als Folge einer Wechselwirkung entstehen kann [3]. Die meisten Fälle werden innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem auslösenden Ereignis beobachtet [4]. Typische Symptome sind Tachykardie, Hyperthermie, Agitiertheit, Halluzinationen, Übelkeit, Diarrhö oder motorische Störungen wie Tremor und Rigor. Schwere Fälle können zu Krampfanfällen, metabolischer Azidose, Atemversagen oder Koma führen [3].

Ursächlich bei diesem Patienten könnte die Kombination mehrerer serotonerger Arzneimittel sein. Escitalopram inhibiert als selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer die 5-HT-Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt in die Nervenzelle [6]. Aripiprazol ist ein atypisches Antipsychotikum, es wirkt als partieller Agonist am 5-HT1A-Rezeptor und als Antagonist am 5-HT2A-Rezeptor [6, 7]. Zudem erhöht auch die Kombination von Oxycodon mit serotonergen Arzneimitteln das Risiko eines Serotonin-Syndroms [9].

Wichtige Hinweise – Lessons learned

  • Bei Verdacht auf Serotonin-Syndrom müssen alle potenziell ursächlichen Arzneistoffe abgesetzt werden, ((da eine schnelle Verschlechterung möglich ist [3].))
  • Eine jährliche Neubewertung des Nutzens von serotonerg wirksamen Arzneistoffen ist sinnvoll [1].
  • Patienten ((müssen)) über Anzeichen eines Serotonin-Syndrom ((aufgeklärt werden)) [1].
  • Das Risiko eines Serotonin-Syndrom ist erhöht bei gleichzeitiger Anwendung von bestimmten Opiaten (z.B. Morphin, Tramadol, Tilidin, Fentanyl), illegalen Substanzen (z.B. Ecstasy, Kokain, Amphetamine), bei Triptanen und auch bei OTC- Medikamente wie Dextromethorphan [1, 4].
  • ((Da es keine messbaren Laborwerte gibt, erfolgt die Diagnose mittels Hunter-Kriterien:))
    • Spontaner Klonus
    • Tremor und Hyperreflexie
    • Okulärer Klonus mit Agitation und Diaphorese
    • Induzierbarer Klonus mit Agitation und Diaphorese
    • Hypertonie und Temperatur über 38° C mit okulärem oder induzierbarem Klonus [5]

Quelle

  1. ADKA. Das Serotonin-Syndrom: Short Info zur Diagnostik und Behandlung. Stand Version 1, März 2024.
  2. Pharmazeutische Zeitung. Serotonin-Syndrom: Lebensbedrohlicher Überschuss (letzter Aufruf: 03.09.2025). ((bitte noch im Text verankern))
  3. Gelbe Liste. Serotonin-Syndrom (letzter Aufruf: 05.09.2025).
  4. Mungul D, Bila N, Petr G, Satterberg K, Knueven A. Serotonin syndrome: A rare yet crucial diagnosis. JAAPA. 2024;37(9):21–26. doi:10.1097/01.JAA.0000000000000087 (letzter Aufruf: 09.09.2025).
  5. Simon LV, Torrico TJ, Keenaghan M. Serotonin Syndrome. In: StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; March 2, 2024 (letzter Aufruf: 04.09.2025).
  6. Saito N, Noguchi N, Toida M, Miyauchi M, Asami T. A case of serotonin syndrome following the reintroduction of aripiprazole after dextromethorphan overdose. PCN Rep. 2025;4(3):e70162. Published 2025 Jul 15. doi:10.1002/pcn5.70162 (letzter Aufruf: 09.09.2025).
  7. Fachinformation Aripiprazol AbZ 20mg Tabletten, Stand September 2022.
  8. Fachinformation Escitalopram – 1A Pharma 15 mg Filmtablette, Stand August 2024.
  9. Fachinformation Oxycodonhydrochlorid Heumann akut 20 mg Hartkapseln, Stand Februar 2025.

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Alessia Bräuer, Dr. Barbara Pfistermeister