Therapeutische Darmresektion nach Tilidin?

Anamnese

Ein 72-jähriger Patient, der wegen Vorhofflimmern mit Marcumar (Phenprocoumon) langjährig gut eingestellt war, hat seit rund sieben Wochen zusätzlich Tilidin wegen arthrosebedingter Knieschmerzen eingenommen. Die Tagesdosis Tilidin habe seit 14 Tagen bei 600 mg (teilweise sogar 800 mg) gelegen. Seit vier Tagen progrediente abdominelle Schmerzen. Jetzt Vorstellung mit akutem Abdomen. Quick-Wert: 6,5% bei Aufnahme (INR >5,5).

Aktuelle orale Medikation

  • Tilidinphosphat und Naloxonhydrochlorid (z. B. in Valoron N retard)  200/16 mg dreimal täglich gegen Arthroseschmerzen im Knie
  • Marcumar® (Phenprocoumon) zur Dauerantikoagulation
  • Dauermedikation: Atorvastatin, Metoprolol, HCT, Ramipril und Pantoprazol

Diagnose und Therapie

Langstreckiges Wandhämatom des Jejunums mit Einblutungen in die Mesenterialwurzel. Hämorrhagische Flüssigkeit perihepatisch, interenterisch und im kleinen Becken

Notfalllaparotomie mit Jejunumresektion (25 cm, hämorrhagisch)

Abb. 1. CT-Befund (rotes Oval, oben: Einblutung zwischen Leber und Zwerchfell; roter Kreis, Mitte: Wandhämatom des Jejunums [Dünndarmteil] mit Einblutungen in die Mesenterialwurzel [Bindegewebe zwischen Darm und Bauchwand]). Aufnahme Klinikum Fürth

Pathomechanismus

Spontane Einblutung bei Medikamenteninteraktion zwischen Phenprocoumon und Hochdosis-Tilidin. Verdächtigt wird eine Interaktion der beiden Wirkstoffe über CYP3A4.

Wichtige Hinweise – Lessons learned

In Einzelfällen wurde bei Patienten, die Tilidin/Naloxon erhielten und unter Dauerantikoagulation mit Phenprocoumon standen, ein Abfall des Quick-Werts beobachtet (bzw. ein Anstieg der INR).

Deshalb sollten die Kontrollen der Prothrombinzeit (bzw. der INR) in der Anfangszeit und bei Beendigung der Behandlung mit Tilidin/Naloxon engmaschig erfolgen, um, wenn nötig, die Phenprocoumon-Dosis entsprechend anpassen zu können.

Phenprocoumon hat einen engen therapeutischen Bereich und somit ist generell Vorsicht bei jeder Änderung der Begleitmedikation geboten. Zu den häufig angewendeten Arzneistoffen, die das Blutungsrisiko über CYP-Metabolismus oder anderweitig erhöhen, gehören Makrolid-Antibiotika, Azol-Antimykotika, NSAR, SSRI u.v.a.

Diesen Fall haben für Sie zusammengefasst
Dr. med. Anja Knüppel-Ruppert, Dr. rer. nat. Barbara Pfistermeister, Christine Schnitzer, Prof. Dr. med. Harald Dormann

Quellen

Fachinformation Valoron® N retard 200/16 mg Retardtabletten; Pfizer Pharma; Stand: Juli 2017.
Fachinformation „Marcumar®“, Meda Pharma GmbH & Co. KG, Stand: Februar 2017.
Drug Safety Mail 2017-26 der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – Interaktion zwischen Phenprocoumon und Tilidin.

Kontakt

Klinikum Fürth
Studienzentrale der Zentralen Notaufnahme
Jakob-Henle-Straße 1
90766 Fürth

Falls Sie Fragen zu den Nebenwirkungen des Monats haben, schreiben Sie uns eine E-Mail an: zna-studienzentrale@klinikum-fuerth.de