Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e. V.
ADKA-Statement
Das Medizinproduktegesetz (MPG) hat mit seiner Einführung 1995 die bis dahin als „Geltungsarzneimittel“ dem Arzneimittelgesetz unterstellten Medizinprodukte der obligaten Aufsicht durch die Apotheken und Krankenhausapotheken entzogen. Auch wenn das Medizinprodukt einen Arzneistoff enthält, dieser aber nur eine ergänzende Wirkung ausübt, findet das Medizinprodukterecht Anwendung. In den letzten Jahren gab es eine Fülle von Produkteinführungen, die dieser Definition entsprechen. Zunächst handelte es sich um Venenverweilkatheter, die zur Reduktion des thrombogenen Risikos mit Heparin beschichtet sind oder zentrale Venenkatheter, die zur Reduktion des Risikos einer Kathetersepsis vorbeugend mit einem Antibiotikum beschichtet werden. Inzwischen gibt es eine Fülle von Medizinprodukten, die einen pharmakologisch aktiven Arzneistoff enthalten oder in situ damit beschichtet werden wie Stents mit Sirolimus oder Paclitaxel, Implantate mit Antibiotika-Beschichtung und Wundschnellverbände, die ein nichtsteroidales Antirheumatikum freisetzen. Trotz ihres Gehalts an hochpotenten – teilweise sogar CMR-Wirkstoffen (krebserzeugende, erbgutverändernde und fruchtbarkeitsgefährdende Wirkstoffe) – werden diese Produkte als Medizinprodukte eingestuft und unterliegen damit nur bedingt den Vorgaben, die für Arzneimittel gelten.
Nach dem MPG wurde 1997 die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten (MPVerschrV) eingeführt. In § 1 regelt die MPVerschrV die Verschreibungspflicht für Medizinprodukte, die verschreibungspflichtige Arzneistoffe enthalten. In § 6 sieht die MPVerschrV eine Ausnahme vor, wenn das Medizinprodukt nur durch einen Arzt angewendet werden kann. Damit ist das Medizinprodukt nach § 1 der Verordnung über Vertriebswege für Medizinprodukte (MPVertrV) auch nicht mehr apothekenpflichtig und zugleich kann die Lieferung direkt an den anwendenden Arzt erfolgen. Dies ist analog den Regelungen des § 47 AMG zu sehen, der ebenfalls eine Ausnahme von der Apothekenpflicht für bestimmte apothekenpflichtige Arzneimittel erlaubt, wenn diese direkt vom pharmazeutischen Hersteller an das Krankenhaus oder den Arzt geliefert werden. Da im Gegensatz zu Arzneimitteln jedoch weder Verschreibungspflicht noch Apothekenpflicht auf Medizinprodukten deklariert werden müssen, lässt sich in der Praxis die Einhaltung der Vertriebswege von den Aufsichtsbehörden weder überprüfen noch ein Verstoß dagegen verfolgen. Durch die fehlende Transparenz und Vielzahl der möglichen Vertriebswege ist der Rückruf eines Medizinprodukts nicht lückenlos durchführbar.
Die europäische Richtlinie 93/42/EWG zu Medizinprodukten, die durch das MPG und die MPVerschrV in nationales Recht überführt wurde, macht derzeit keinerlei Angaben zu Vertriebswegen.
Die derzeitige rechtliche Situation sowie die aktuelle Praxis der Umsetzung von MPG und MPVerschrV in Deutschland, haben zur Folge, dass der notwendige Sachverstand beim merkantilen Umgang mit Medizinprodukten häufig fehlt und kein nachvollziehbarer Vertriebsweg besteht. Dies birgt insbesondere bei Medizinprodukten, die CMR-Stoffe enthalten, für die am Verkehr Beteiligten, aber auch hinsichtlich der Qualität für die Patienten konkrete Gefahren:
- Produktqualität:
Qualitätsaspekte im Rahmen des Qualitätssicherungssystems einer Krankenhausapotheke können ohne Aufwand auch auf diese Medizinprodukte ausgeweitet werden.
- Anwendersicherheit:
Die Anwendung erfolgt oft ohne, dass der Einkäufer im Krankenhaus um den Arzneistoff weiß, so dass nicht-pharmazeutisches Personal mit Produkten umgeht, die in Apotheken fest vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen unterliegen.
- Patientensicherheit:
Das Gefährdungspotenzial von Arzneistoff-freisetzenden, implantierten Medizinprodukten, die beim Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen nicht ohne chirurgischen Eingriff entfernt werden können, ist größer als bei vielen anderen Medikamenten.
Das bewährte Rückrufverfahren bei Arzneimitteln könnte bei verpflichtendem Vertrieb über eine Apotheke ohne Aufwand auch auf diese Medizinprodukte ausgeweitet werden.
Alle resorbierbaren Produkte können ganz offensichtlich biochemische und immunologische Prozesse des Patienten beeinflussen. Damit trifft für diese Produkte die Definition als Medizinprodukt nicht zu. Sie sollten deshalb auch nicht als solche eingestuft werden.
- Wirtschaftlichkeit:
Entzieht sich der Vertrieb der Apotheke, kann auch kein Apotheker die Therapie mit Beratung oder Controlling begleiten.
Insbesondere die Dualität der Arzneistoff-haltigen Medizinprodukte legt zwingend die Forderung nahe, dass diese nur mit pharmazeutischem Sachverstand im Vertrieb, aber auch bei der Anwendung analog zu Arzneimitteln, nur mit pharmazeutischem Sachverstand zu handhaben sind. Daraus ergeben sich ein deutlicher Gewinn an Produkt-, Anwender- und Patientensicherheit sowie wirtschaftliche Vorteile für das Krankenhaus. Eine Ungleichbehandlung Arzneistoff-haltiger Medizinprodukte gegenüber Arzneimitteln zu Lasten der Sicherheit des Patienten kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.
Deshalb fordert der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V., die Ausnahmeregelung in § 6 MPVerschrV aufzuheben und darauf hinzuwirken, dass Beschaffung und Überwachung der Arzneistoff-haltigen oder in situ zu beschichtenden Medizinprodukte im Krankenhaus nur mit dem Sachverstand und unter der Verantwortung der Krankenhausapotheke erfolgen dürfen.
Präsidium des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e. V., Michael Lueb, Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, Apotheke im Johannesstift, Schildescher Str. 99, 33611 Bielefeld, E-Mail: praesident@adka.de
Ausschuss Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika [IVD], Dr. Christoph Sturm, Apotheke Amperkliniken AG, Krankenhausstr. 15, 85221 Dachau, E-Mail: sturm@adka.de
Krankenhauspharmazie 2006; 27(09)