Chancen und Risiken der Herstellung von Parenteralia in der Krankenhausapotheke


Der tragische Unfall in der Universitätsmedizin Mainz

Prof. Dr. Irene Krämer, Mainz

Seit rund 25 Jahren wird die aseptische Herstellung applikationsfertiger Parenteralia in deutschen Krankenhausapotheken etabliert und optimiert. Neben der Herstellung von applikationsfertigen Zytostatika, die in den meisten Krankenhausapotheken Deutschlands zentralisiert erfolgt, werden in Krankenhausapotheken mit Kinderkliniken auch häufig Mischinfusionslösungen für die parenterale Ernährung zubereitet. Derartige Mischinfusionslösungen sind komplex zusammengesetzt und bestehen einerseits aus der wässrigen Infusionslösung mit Glucose, Aminosäuren und Elektrolyten (Kalium, Natrium, Magnesium, Calcium, Phosphat, Zink) und andererseits aus der lipidhaltigen Infusionsemulsion mit Fetten und Vitaminen in patientenindividueller Dosierung. Sie werden schwerstkranken pädiatrischen Patienten verabreicht. Die Verordnung, Herstellung und Applikation erfolgt üblicherweise jeweils patientenindividuell für die kommenden 24 Stunden.

Die Zubereitung der Mischinfusionslösungen für pädiatrische Intensivpatienten ist extrem anspruchs- und verantwortungsvoll. In der Universitätsmedizin Mainz wurde die Herstellung bereits vor Jahrzehnten der Krankenhausapotheke übertragen. In der Folge war die Apotheke der Universitätsmedizin Mainz an der Verfahrensentwicklung und Etablierung von Qualitätssicherungsmaßnahmen für diese Art der Herstellung maßgeblich beteiligt. An der Entwicklung der Leitlinie der Fachgesellschaft Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) e.V. zur aseptischen Herstellung und Prüfung applikationsfertiger Parenteralia (publiziert 2003) wirkten Krankenhausapotheker der Universitätsmedizin Mainz intensiv mit. In der eigenen Krankenhausapotheke wurden vielfältige über die Leitlinie hinausgehende Qualitätssicherungsmaßnahmen und umfangreiche Kontrollen für die Umgebung und Prozesse etabliert. Allein durch die konsequente Qualitätssicherung und die engmaschigen Prozesskontrollen konnten die Kontamination und die Kontaminationsquelle der wässrigen Mischinfusionslösungen, die am 20. August 2010 hergestellt wurden, erkannt und derart schnell gefunden werden.

Die hergestellten Produkte werden unmittelbar nach der Herstellung angewandt. Die patientenindividuelle Zusammensetzung bedingt die unmittelbare Anwendung, ohne dass Ergebnisse von Qualitätsprüfungen abgewartet werden können. Auch in der PICS/S PE 10-3 (PIC/S: Pharmaceutical inspection co-operation scheme) wird darauf hingewiesen, dass die Produkte ohne Qualitätskontrolle angewendet werden müssen und Fieber und Septikämie beim Patienten erste Hinweise auf eine mögliche Kontamination sein können. Die Qualität der Produkte muss dementsprechend durch das Herstellungsverfahren gesichert sein. Bei dieser Art der aseptischen Herstellung werden sterile Ausgangslösungen mit sterilen Einmalartikeln in sterile Behältnisse im geschlossenen System überführt.

Als mögliche Kontaminationsquellen für eine mikrobiologische Kontamination kommt die Umgebungsluft, aber vielmehr die Kontaktkontamination an Konnektionsstellen in Betracht. Das Risiko der Kontaktkontamination wird von uns höher eingeschätzt als das Risiko der Luftkontamination, und es gilt die eiserne Regel: Niemals Konnektionsstellen berühren!

Die Etablierung des EU-GMP Guide Annex I ist für diese Art der Herstellung nicht zielführend. Vielmehr ist die Qualität dieser Art der manuellen Herstellung von der Ausbildung, der Schulung, dem Training, der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des herstellenden Personals abhängig. In der Krankenhausapotheke darf nur entsprechend qualifiziertes pharmazeutisches Personal die Herstellung durchführen. Die Qualifikation muss das Personal regelmäßig durch Nährmedienabfüllung und täglich durch Herstellung von sogenannten Dummy-Produkten beweisen. Auch am Unglückstag wurden die mikrobiologischen Proben des Dummy-Produkts in Blutkulturflaschen in die Mikrobiologie der Universitätsmedizin Mainz versandt. Schon am nächsten Morgen – noch während die Produkte in der Anwendung waren – wurde die Kontamination mit gramnegativen Stäbchenbakterien erkannt und die weitere Anwendung gestoppt. In vorbildlicher Zusammenarbeit konnte die Kontamination rasch auf eine industriell gefertigte Infusionslösung, die als Ausgangsprodukt eingesetzt worden war, zurückgeführt werden. Dieser Unfall wäre auch in Herstellbetrieben für applikationsfertige Zubereitungen, die ihre Herstellung nach EU-GMP Guide Annex I loben, nicht vermeidbar gewesen und wahrscheinlich nicht erkannt worden.

In dieser Krisensituation war das Vertrauen in die Qualität und die Qualitätssicherungsmaßnahmen der Apotheke der Universitätsmedizin Mainz zu keinem Zeitpunkt erschüttert. Die Leitung der Universitätsmedizin und der Leiter der Universitätskinderklinik strebten jederzeit die umgehende Wiederaufnahme der Herstellung in der Apotheke an. Die international zusammengesetzte Expertenkommission empfahl nach der Auditierung der Herstellung der Mischinfusionslösungen in der Apotheke diese baldmöglichst in der etablierten Art wieder aufzunehmen. Der größte Vertrauensbeweis ist der unveränderte Wunsch unserer Partner in der Universitätskinderklinik, möglichst alle Parenteralia für die Patienten der pädiatrischen Intensivstationen in der Krankenhausapotheke applikationsfertig zuzubereiten. Dieses Vorhaben befindet sich seit einigen Wochen in konkreter Planung.

Das allseitige Vertrauen ist eine große Chance, aber gleichzeitig auch eine große Verantwortung für die Mitarbeiter der Krankenhausapotheke. Das Risiko, einen unentdeckten Fehler zu begehen, kann und muss so weit wie irgend möglich reduziert werden. Jetzt muss auch überlegt werden, welche zusätzlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen sinnvollerweise zu etablieren sind. Die psychosoziale Gesundheit der Mitarbeiter in den betroffenen Bereichen muss wiederhergestellt und erhalten bleiben. Gleichzeitig muss von allen Beteiligten und auch Patienten und Angehörigen akzeptiert werden, dass sich in der Hochleistungsmedizin das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko nicht vollkommen eliminieren lässt. Wir alle müssen unsere Grenzen kennen und akzeptieren.

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