Mehr oder weniger Risiko? – Die aseptische Herstellung von Parenteralia in der ortsnahen Apotheke


Prof. Dr. Irene Krämer, Mainz, Dr. Torsten Hoppe-Tichy, Heidelberg

Seit einiger Zeit gibt es in einigen Ländern den Trend, sämtliche Herstellung von Arzneimitteln, also applikationsfertige Zubereitungen, Defekturen und Rezepturen, aus den Apotheken in zentralisierte Herstellungsbetriebe zu verlagern. Vielfach erfolgt die Auslagerung aus Apotheken in Herstellungsbetriebe unter rein finanziellen Aspekten. Auch in Deutschland gibt es immer wieder Bestrebungen durch Krankenkassen, Herstellvorgänge, wie beispielsweise die Zubereitung von patientenindividueller parenteraler Ernährung, aber auch patientenindividueller onkologischer Therapie, zu zentralisieren. Die durchgeführten Ausschreibungen erfolgen ausschließlich mit der Intention, finanzielle Ressourcen zu heben. Die Versorgungssicherheit der Patienten und die Versorgungsqualität, die durch die Zentralisierung und somit Schaffung von Oligo- bzw. Monopolstrukturen auf der Anbieterseite negativ beeinflusst werden, stehen dabei nicht im Fokus. In den angelsächsischen Ländern, den USA und Australien ist das Outsourcing der originär pharmazeutischen Herstelltätigkeiten aus den Apotheken besonders weit fortgeschritten und die Kollateralschäden sind sichtbar. In Großbritannien wird die Ausgliederung der rezepturmäßigen Herstellung von dosisadaptierten Arzneimitteln für Kinder aufgrund der mangelnden Versorgungssicherheit inzwischen äußerst kritisch gesehen. Sie ist daher auch schon wieder rückläufig.

Große Sorge müssen augenscheinlich große Compounding-Center bereiten. So gab es in den letzten Jahren einige Berichte über Missstände bei großen Herstellungsbetrieben in den USA und Kanada. In jüngerer Zeit gab es auch Zwischenfälle in Frankreich und Großbritannien.

In Ontario hat nach Ausgliederung der Zytostatikazubereitung an ein Compounding-Center dieses das Krankenhaus mit unterdosierten patientenindividuellen Zytostatikazubereitungen versorgt. Für die Patienten ist dies natürlich eine Katastrophe, für das Compounding-Center wohl ein finanzieller Vorteil.

In Frankreich verstarben im Jahr 2013 und in Großbritannien 2014 mehrere Kinder an bakteriell kontaminierten Mischinfusionen zur parenteralen Ernährung. In beiden Fällen wurden die Infusionslösungen in Compounding-Centern chargenmäßig hergestellt und geliefert. In Frankreich wurde der Herstellbetrieb umgehend geschlossen und es gibt bis heute keine Informationen zur Ursache. In Großbritannien gab das Compounding-Center bekannt, dass man die Ursachensuche rückhaltlos unterstütze. Die belieferten neonatologischen Intensivstationen befanden sich in sechs verschiedenen Krankenhäusern und insgesamt bestand bei 23 Kindern nachweislich ein kausaler Zusammenhang zwischen infektiologischem Geschehen und den kontaminierten Infusionslösungen. Erst nach fünf Tagen wurde erkannt, dass in allen betroffenen Intensivstationen mit Bacillus cereus kontaminierte parenterale Ernährungslösungen aus dem gleichen Herstellungsbetrieb und der gleichen Charge appliziert wurden. Da die Infusionslösungen mit sieben Tagen Haltbarkeit deklariert wurden, wurden sie auch nach den ersten Todesfällen weiter eingesetzt. Nach den jüngsten Informationen der Aufsichtsbehörde wurde der Keim auch in den Herstellungsräumlichkeiten gefunden und die Kontamination erfolgte mit hoher Wahrscheinlichkeit während des Herstellungsprozesses.

US-amerikanische Compounding-Center stellen applikationsfertige Parenteralien in großen Chargen her und verschicken diese im ganzen Land an Arztpraxen. Das führte vor zwei Jahren zu einer Katastrophe. Bei der Herstellung von Corticoid-Zubereitungen zur intrathekalen Applikation durch das New England Compounding-Center (NECC) wurden unzählige Zubereitungen mit einem humanpathogenen Pilz kontaminiert. Potenziell 14000 Patienten waren einem Infektionsrisiko ausgesetzt, aus 20 US-Staaten wurden rund 750 Fälle mit einer Pilz-Meningitis nach Applikation des inkriminierten Produkts gemeldet und rund 70 Patienten sind nachweislich an einer Pilz-Meningitis verstorben. Im Nachgang mussten 17500 der „Intrathekalspritzen“ zurückgerufen werden. Dieser und weitere Fälle führten schließlich dazu, dass in den USA neue Aufsichtsregelungen und eine neue Gesetzgebung für die Compounding-Center etabliert wurden. Die Anforderungen nähern sich damit den Regelungen in Deutschland stärker an. Es ist gut, dass strengere Regelungen etabliert werden bzw. bei uns etabliert sind, doch zeigen diese Beispiele, dass mit dem Umfang der Herstellung und der Entfernung zum Anwender das Risiko steigt. Beim Vorfall in der Universitätsmedizin Mainz konnte man die Ursache innerhalb weniger Stunden detektieren und die Infusionen sofort stoppen.

Die aseptische Herstellung von patientenindividuellen Zubereitungen ist grundsätzlich mit einem hohen Risiko versehen. Dies gilt für die kleine Krankenhausapotheke genauso wie für das große Compounding-Center. Größere Chargen verringern das Risiko nicht, sondern machen es im einzelnen Schadensfall durch die Schädigung von großen Patientenzahlen eher größer. Um dies am Beispiel der intrathekalen Zubereitungen des NECC deutlich zu machen: Alle Krankenhausapotheken in Deutschland müssten in einem bestimmten Zeitraum alle ihre intrathekalen Zubereitungen mit demselben Pilz verunreinigen, um ein solches Desaster wie in den USA zu erleben.

Bei der patientenindividuellen Einzelherstellung von Parenteralia muss die Qualität durch das Herstellungsverfahren gesichert sein. Da die Produkte unmittelbar angewendet werden (müssen), können keine zerstörenden oder zeitaufwendigen Prüfungen mit Aliquots durchgeführt werden. So bleiben als mikrobiologische Qualitätskontrolle nur das Umgebungsmonitoring, die Nährmedienabfüllung und Dummyherstellungen. Kontaminationen durch direkten Kontakt des herstellenden Personals treten mit einem höheren Risiko auf als indirekte Kontaminationen aus der Luft. Bei einer fehlerhaften Einzelherstellung sind am ehesten einzelne Produkte und damit einzelne Patienten betroffen. Bei einer chargenmäßigen Herstellung insbesondere aus gepoolten Ausgangslösungen sind im Kontaminationsfall viele Patienten betroffen. Längere Lagerung und lange Transportzeiten erhöhen das Risiko zusätzlich.

Es scheint auf der Hand zu liegen: Wo „for profit“ gearbeitet wird, muss auch Profit realisiert werden. Dabei geht Profit teilweise vor Sicherheit!

Deshalb sollten alle Beteiligten dringend überlegen, ob einer weiteren Zentralisierung von individuellen Zubereitungen, auch durch das Instrument der flächendeckenden Ausschreibungen, das Wort geredet werden soll oder ob nicht die Herstellung in einer verantwortlich und gut arbeitenden ortsnahen und mit Fachpersonal arbeitenden (Krankenhaus-)Apotheke das höhere Gut ist und die bessere, weil sicherere, individuelle Zubereitung geliefert werden kann.

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