Der Vizepräsident hat einen Traum


Dr. Torsten Hoppe-Tichy, Heidelberg

Dr. Torsten Hoppe-Tichy [Foto: Privat]

1996, nachdem ich schon einige Zeit als Schatzmeister im Landesverband Baden-Württemberg gearbeitet hatte, wurde ich in das Amt des Schriftführers im Präsidium der ADKA gewählt. Seit dieser Zeit war ich mit Unterbrechungen im Präsidium ehrenamtlich tätig. Und, um es vorweg zu sagen: Es war eine tolle Zeit und wir alle haben viel erreicht in dieser Zeit. Die Krankenhauspharmazie ist unglaublich vorangekommen, es hat in meinen Augen quasi ein Imagewandel stattgefunden und auch die Wahrnehmung unserer Profession von Anderen hat sich grundlegend geändert. Vielleicht ist es Zeit, einmal die Tagträume, die mich hin und wieder auch berufspolitisch begleiten, Revue passieren zu lassen und hieraus mögliche Ziele und Schritte dorthin festzulegen. Wer nun an dieser Stelle schon meint, Tagträume sind eher eine Krankheitsdiagnose, dem kann ich nur raten, das Editorial gleich zu ignorieren – oder vielleicht einmal die psychologische Bedeutung von Tagträumen zu recherchieren.

Vielfach beschäftigt mich bei den Tagträumereien die Rolle von Chefapothekern. Ich bin dabei fest der Meinung, dass viele Probleme, vor denen wir im Präsidium bei der Beurteilung der Lage manches Mal standen, nur auf die mangelhaft gelebte Rolle von Chefapothekern zurückzuführen sind. Warum dürfen Krankenhausapotheker nicht auf europäische Kongresse gehen, obwohl sie von dort mit vielen Ideen zurückkommen würden, die eigene Situation im Vergleich zur Situation in anderen Ländern gut einordnen und Netzwerke bilden könnten, also einfach nur die Situation in der „eigenen“ Krankenhausapotheke voranbringen würden und sei es nur durch kritische Hinterfragung des eigenen Tuns. Liegt es daran, dass man als Chef nicht möchte, dass durch solch kritische Hinterfragung „Unruhe“ in der eigenen Krankenhausapotheke aufkommt, möchte man nicht, dass Kollegen mehr wissen als der Chef? Klar, solche Kongressteilnahmen kosten Geld. Warum werden aber die Stipendien, die die ADKA organisiert, nur mit Mühe ausgeschöpft, am Ende sogar von Krankenhausapotheken, die dies gar nicht nötig hätten, da eine interne Finanzierung möglich wäre?

Und auch klar, solche Kongressteilnahmen kosten auch Zeit. Kollegen müssen ersetzt werden, wie sie im Urlaub auch ersetzt werden müssen. Ich bin der Meinung, dass dieses Opfer gebracht werden muss und man dies auch kann. Gerade an Universitätskliniken, in denen die Krankenhausapotheker in einem natürlichen Umfeld von Forschung und Lehre arbeiten, muss eine Teilnahme an internationalen, hochrangigen Kongressen zwingend gegeben sein. Hier hoffe ich, dass meine Träume irgendwann wahr werden und man sich auf einem internationalen Kongress zu Antibiotikatherapie mit Kollegen aus anderen Ländern einmal über das apothekengetriebene ABS sichtbar austauscht und dort nicht nur als ein Apotheker unter 100 Mikrobiologen und Infektiologen steht. Und eins noch: Wir begeben uns doch hier in eine Situation, die unseren Verwaltungen signalisiert, dass zwar Krankenhausärzte an solchen internationalen Kongressen teilnehmen müssen, Krankenhausapotheker aber nicht. Oder ist es gar so, dass wir meinen, die Erwartung unserer Verwaltungen („Einsparung“) durch unser Tun („keine Ausgaben für Fortbildungen“) herbeiführen zu müssen?

Aber was ist mit Fortbildungen allgemein? Wieso werden wir bei Umfragen unter unseren Mitgliedern um Fortbildungen zu bestimmten Themen gebeten, müssen aber nach Anbieten der geforderten Fortbildungen diese wegen Mangel an Beteiligung absagen? Stellen wir die falschen Fragen, unterbreiten wir die falschen Angebote? Und warum hat man beständig den Eindruck, dass selten die Kollegen zu den Fortbildungen kommen, bei denen sich der Eindruck verfestigt hatte, dass sie besonders profitieren würden? Hier, das gestehe ich, drehen sich meine Tagträume häufig im Kreise und geben mir fatalistische Antworten. Nichtsdestotrotz wird dies eines der wichtigen Themen des Verbands bleiben und im zuständigen Ausschuss weiter vorangetrieben werden.

Hier kommt man dann in den Tagträumen gleich zu einem anderen Punkt: Wie können wir es endlich schaffen, die Ignoranten in anderen Berufen des Gesundheitswesens zu erreichen? Uns wird von allen Seiten in persönlichen Gesprächen, bei den Grußworten zu unseren Kongressen, aber auch bei interprofessionell besetzten Podiumsdiskussionen bei anderen Berufsorganisationen gerne bestätigt, welch gute und wichtige Arbeit wir machen. Aber wenn wir einmal nicht dabei sind, wird unsere Berufsgruppe meist sofort wieder vergessen. Die von uns erbrachten Dienstleistungen erbringen wir in der Regel geräuscharm und zuverlässig und in den meisten Fällen auch noch sehr günstig. Es ergibt sich manchmal der Eindruck, dass dies bei den Dienstleistungsempfängern den Eindruck erweckt, dass diese Arbeiten nicht schwierig, vielleicht sogar kaum etwas wert sind. Hier gilt es für die Zukunft, mehr sichtbare Werbung für unser Tun zu machen. Wir müssen uns als eigenständig tätige Berufsgruppe mit Entscheidungskompetenz im Gesundheitswesen präsentieren. Gerne werden wir ja als Zuarbeiter genutzt, auch intern in den Krankenhäusern, aber die abschließende Präsentation kommt von anderer Stelle, der Ruhm wird von anderen eingestrichen. Klar, hier müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen und vielleicht auch realisieren, dass wir bei der Positionierung unserer Berufsgruppe noch am Anfang stehen. Umso wichtiger, diese Positionierung sichtbar zu machen, siehe hierzu auch oben die Anmerkungen zum Nutzen von Netzwerken bei internationalen Kongressen. Es war gut zu sehen, dass viele von uns in den letzten Jahren in den Medien vertreten waren, und sei es nur zum leidigen Thema Lieferengpässe. Es ist in den zurückliegenden 20 Jahren auch ein riesiger berufspolitischer Schritt nach vorne gemacht worden: Die ADKA wird bei Gesetzesplanungen angehört, wir sind als eigenständige Berufs- und Fachvertretung national akzeptiert, bei Politikern und anderen Verbänden. Es heißt nun aber, nicht stehen zu bleiben, sondern diese Position weiter auszubauen.

Ein Albtraum – nicht unbedingt im eigentlichen, negativen Sinne – sind manchmal die Sitzungen im EAHP Scientific Committee, vor allem dann wenn es um das Management von Krankenhausapotheken geht. „Lean“, „Kaizen“, „5S“ sind die Schlagworte und ich gestehe, dass ich hier negativ „besetzt“ bin. Nicht, weil ich denke, dass diese Methoden nicht sinnvoll oder nicht auf die Krankenhausapotheke anwendbar wären. Ich mag einerseits die Schlagworte nicht, andererseits frage ich mich, was denn Chefapotheker bisher so getan haben, wenn nicht die beständige Reorganisation und Verbesserung der Abläufe in ihren Apotheken. Vielfach „lernt“ man dann bei den Diskussionen und während der Vorträge, dass es eben für viele nach Einführung von Lean et al. eine neue Errungenschaft ist, Mitarbeiter in Entscheidungen einzubinden und beispielsweise die PKA entscheiden zu lassen, welchen Kommissionierroboter man beschaffen soll. Auch international gibt es eben eine extreme „Performancebreite“ bei Krankenhausapotheken. Leider muss man aber auch bei Sicht auf unser eigenes Umfeld realisieren, dass vielfach die bestehenden Ressourcen nicht optimal ausgenutzt werden. Immer noch werden Krankenhausapotheken von oben nach unten, statt von unten nach oben organisiert. Erst wird also die Rolle des Apothekers gesichert und mit Aufgaben belegt, dann die der PTA und wenn dann hoffentlich noch etwas übrig bleibt, die der PKA und der Lagerarbeiter. Und so spiegelt es sich denn auch wider und man sieht Apotheker bei der Kistenkontrolle und Herstellung statt bei der wissenschaftlich anspruchsvollen Beratung von Ärzten und anderen im Gesundheitssystem Tätigen sowie Patienten. Auch dies wiederum meist eine selbsterfüllende Prophezeiung: Man hat ja schließlich hierzu keine Zeit. Oder ist es, provokativ gefragt, eher die Scheu vor dem hoffentlich doch noch bestehenden wissenschaftlichen Anspruch an den Apothekerberuf? Ist das Leben bei der Kistenkontrolle vielleicht einfacher als auf Station in der Kommunikation mit Ärzten?

Wir alle, auch der tagträumende Autor, haben Leichen im Keller, soll heißen: Wir machen Sachen nicht so, wie man sie, der reinen Lehre der Effizienz folgend, machen sollte. Dagegen spricht auch nichts, solange man sich dessen bewusst ist und solange man diese Leichen sofort und ohne Zögern entsorgt, wenn denn einmal „Not am Mann“ ist. Der Autor wird weiter jeden Tag versuchen, sein eigenes Tun auch im Hinblick auf den Berufsstand Krankenhausapotheker zu relativieren, er wird weiter versuchen, in seiner Krankenhausapotheke ein Klima zu schaffen, das allen Kollegen, also auch denjenigen, die ihre Kollegen bei Abwesenheit vertreten müssen, das Gefühl gibt, dass berufspolitische Arbeit wichtig, erfüllend und mit aller Kraft zu unterstützen ist.

Es war eine schöne Zeit im Präsidium, ich denke, sie war erfolgreich und ich möchte keinen Tag, den ich in ADKA-Sitzungen verbracht habe, missen.

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