Interview mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig: „Wir benötigen künftig eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Krankenhausapothekern“


Das Interview führte Dr. Matthias Fellhauer

Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Berlin

Als erstes Nicht-ADKA-Mitglied wurden Sie im vorigen Jahr mit der ADKA-Ehrennadel ausgezeichnet. Was waren Ihre Gedanken, als Sie von dieser Auszeichnung erfahren haben?

Ich habe mich über diese Auszeichnung der ADKA natürlich sehr gefreut. In meiner ärztlichen Tätigkeit seit 1981 – zunächst im Universitätsklinikum Benjamin Franklin, später an der Charité und zuletzt am HELIOS Klinikum Berlin-Buch – habe ich die enge interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Krankenhausapothekern sehr schätzen gelernt.

Mir ist aber auch bewusst, dass wir diese Zusammenarbeit, selbstverständlich unter Einbeziehung der Pflegekräfte, weiter intensivieren müssen und uns auch verstärkt Gedanken darüber machen sollten, wie wir die Aufgaben im stationären Alltag mit dem Ziel der Optimierung der Arzneimitteltherapie des Patienten sinnvoll aufteilen. Als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Herausgeber eines unabhängigen, an Fragen der Arzneimittel(therapie)sicherheit sehr interessierten Arzneimittelbulletins (Der Arzneimittelbrief) werde ich mich auch weiterhin nachdrücklich für die interprofessionelle Zusammenarbeit einsetzen.

Die „ADKA-Thesen“ dokumentieren wesentliche Ziele der deutschen Krankenhausapotheker und das Closed Loop Medication Management wurde kürzlich als vorrangige Aufgabe definiert. Qualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie stehen dabei im Mittelpunkt. Um welche Teilaspekte der AMTS sollten sich Ihrer Meinung nach unsere Kollegen besonders kümmern?

Ich halte das ADKA-Zielepapier aus dem Jahr 2014 mit seinen Thesen für wichtig, da es die im Krankenhaus auftretenden Probleme beim Medikationsprozess klar benennt und auch die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Krankenhausapothekern und Ärzten bei der Erfassung von unerwünschten Arzneimittelereignissen bzw. Nebenwirkungen betont. Zur Lösung dieser Probleme werden wir künftig eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Krankenhausapothekern benötigen.

Angesichts der vielen neuen, meist kostspieligen Arzneimittel, die heute in der Regel zunächst im Krankenhaus verordnet werden, gewinnt die Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie – ein weiterer Themenbereich im ADKA-Zielepapier – immer größere Bedeutung. Für die zeitnahe Darstellung der pharmakoökonomischen Effekte (z. B. von Zusatzentgelten und neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) auf das Budget der jeweiligen Fachdisziplinen ist der Krankenhausapotheker sicher besonders prädestiniert. Ich habe in den Jahren meiner Tätigkeit als Chefarzt im HELIOS Klinikum Berlin-Buch sehr positive Erfahrungen gemacht im Rahmen der Gespräche und Diskussionen zu den medizinischen Sachkosten, die meist in Anwesenheit des Krankenhausapothekers, eines kompetenten klinischen Pharmakologen und des Klinik-Geschäftsführers stattfanden.

Um Ihre Frage konkret zu beantworten: Eine stärkere Beteiligung der Krankenhausapotheker wünsche ich mir vor allem bei der Bereitstellung qualitätsgesicherter Informationen zu Arzneimitteln, an den Schnittstellen im Versorgungsprozess, das heißt zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme bei Arzneimittelanamnese, elektronischer Medikationserfassung sowie Umstellung der Arzneimittel auf die jeweilige Hausliste und bei Entlassung Rückumstellung der verordneten Arzneimittel und auch im Bereich der Pharmakovigilanz (siehe Frage 5).

Lieferengpässe sind ein weiteres Thema, das die Kollegen bewegt und sehr relevante Kapazitäten in deutschen Krankenhausapotheken bindet. Die bisherigen Bemühungen haben auf der politischen Ebene leider nur ein zaghaftes Echo gefunden. Was wären aus Ihrer Sicht geeignete Maßnahmen, um die Situation nachhaltig zu verbessern?

Auch die von mir bis Sommer 2017 geleitete Klinik in Berlin-Buch war in den letzten Jahren häufig von Lieferengpässen, vor allem bei Zytostatika und Antibiotika, betroffen. Ohne das Engagement und Organisationstalent unserer Krankenhausapotheker bei der Beschaffung knapper Arzneimittel hätten diese Lieferengpässe sicher gravierende Folgen für die Patienten gehabt.

Durch das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz sind inzwischen erfreulicherweise einige der auch von der AkdÄ wiederholt angeregten Maßnahmen umgesetzt worden, beispielsweise die rechtzeitige Meldung von drohenden Lieferengpässen durch pharmazeutische Unternehmer (insbesondere bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln) an Krankenhäuser und die Etablierung eines „Jour fixe“ (unter Beteiligung aller wichtigen Akteure) am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Auch die Transparenz hinsichtlich der aktuell bestehenden Lieferengpässe bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen ist sicher verbessert worden.

Um auch in Zukunft eine Versorgung mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln garantieren zu können, müssen jedoch auch weitere Ursachen für Lieferengpässe beseitigt werden. In erster Linie denke ich hierbei an eine sukzessive Rückverlagerung der Herstellung von Rohstoffen und Arzneimitteln wieder nach Europa, die Ausdehnung der Vorratshaltung bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln auf drei bis sechs Monate und die konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten, das heißt einer zu späten oder überhaupt nicht erfolgten Meldung von drohenden Lieferengpässen an Krankenhäuser. Man sollte aber auch über die Preisgestaltung nachdenken und ein Dumping der Preise bei Arzneimitteln und Impfstoffen vermeiden, die für die Versorgung der Patienten dringend benötigt und mitunter aufwendig in der sterilen Herstellung sind. Letztlich sollte auch an pharmazeutische Unternehmer appelliert werden, dass sie ihre ethische Verantwortung für die Herstellung unverzichtbarer Arzneimittel wahrnehmen und dabei nicht der Profit im Vordergrund stehen darf. Ethisch inakzeptables Verhalten, wie die künstliche Verknappung von versorgungsrelevanten Arzneimitteln (z. B. Melphalan), sollte transparent gemacht und mit empfindlichen Strafen sanktioniert werden.

Gemessen an der Zahl der Krankenhausbetten hat Deutschland nach wie vor die wenigsten Krankenhausapotheker in Europa. Nun kommt Bewegung in das Thema und ein erstes Bundesland diskutiert ernsthaft über flächendeckend verfügbare pharmazeutische Expertise auf den Stationen der Krankenhäuser. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Argumente für den Stationsapotheker?

Die aus meiner Sicht entscheidenden Argumente, weshalb wir deutlich mehr Krankenhausapotheker in Deutschland benötigen, wurden in der öffentlichen Diskussion zu diesem Thema wiederholt genannt. Hierzu zählen der wichtige Beitrag der Klinikapotheker bei der Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses, aber auch die veränderten Rahmenbedingungen für Ärzte und Pflegekräfte im Krankenhaus infolge der wachsenden Bedeutung der Ökonomisierung (z. B. Personalknappheit, kürzere Verweildauer, steigende Fallzahlen, weniger Zeit für Gespräche mit Patienten). Durch klinische Studien ist inzwischen der Stellenwert der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Krankenhausapothekern und Ärzten, vor allem bei der Medikationsanalyse und beim Medikationsmanagement, empirisch gut belegt worden. Diese Zusammenarbeit ist auch zwingend erforderlich angesichts des häufig zu beobachtenden Informationsverlusts an den relevanten Schnittstellen (d. h. stationäre Aufnahme und Entlassung aus dem Krankenhaus) und der demographischen Entwicklung mit häufiger stationärer Behandlung schwerkranker, multimorbider Patienten, die häufig fünf oder mehr Medikamente pro Tag gleichzeitig einnehmen (Multimedikation). Es ist erfreulich, dass auch vonseiten der Politik zunehmend die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) als wichtige Voraussetzung für eine qualitätsorientierte Gesundheitsversorgung erkannt wird und in diesem Zusammenhang auch eine stärkere Integration von Apothekern in den klinischen Alltag auf den Stationen zur Verbesserung des Medikationsmanagements diskutiert wird (vgl. geplantes Krankenhausgesetz in Niedersachsen und aktuelle Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz der Länder).

Als langjähriges aktives Mitglied der AkdÄ sind Sie immer wieder auch mit Fragen der Pharmakovigilanz konfrontiert. Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang und aus ärztlicher Sicht die Hauptaufgaben der Klinikapotheker?

Eine wichtige Aufgabe für Klinikapotheker sehe ich in der Weiterleitung bzw. Verbreitung von Informationen zur Arzneimittelsicherheit bzw. AMTS im Krankenhaus. Ich denke in diesem Zusammenhang unter anderem an die Rote-Hand-Briefe, das mit einer blauen Hand gekennzeichnete, behördlich genehmigte Schulungsmaterial mit ergänzenden Informationen für bestimmte Arzneimittel und die Veröffentlichungen der AkdÄ (z. B. den Newsletter „Drug Safety Mail“ bzw. die Mitteilungen „Aus der UAW-Datenbank“). Leider werden weiterhin sehr wichtige Aspekte der AMTS bzw. Pharmakovigilanz im Medizinstudium nur unzureichend vermittelt und ich bin bei Vorträgen zu diesen Themen immer wieder überrascht, wie lückenhaft hierzu die Kenntnisse bei Ärzten sind. So ist beispielsweise die Bedeutung eines auf der Spitze stehenden schwarzen Dreiecks in der Packungsbeilage vielen Ärzten noch unbekannt. Es überrascht deshalb nicht, dass bei derartig gekennzeichneten, einer zusätzlichen Überwachung unterliegenden Arzneimitteln der Aufforderung an Ärzte (Apotheker, Pflegekräfte), Verdachtsfälle einer Nebenwirkung den nationalen Arzneimittelbehörden zu melden, derzeit sicher nur unzureichend nachgekommen wird. Durch gemeinsame Visiten von Ärzten und Krankenhausapothekern sowie Nutzung gemeinsamer Kommunikationsplattformen würde es sicher gelingen, der Pharmakovigilanz noch größere Aufmerksamkeit zu widmen als bisher und die im Krankenhaus auftretenden Nebenwirkungen konsequenter zu melden.

Sie haben sich viele Jahre lang vor allem mit Onkologie beschäftigt – einem Fachgebiet, das zurzeit vor allem bei den Kosten der Versorgung für Diskussionen sorgt. Sehen Sie einen Königsweg für gute Versorgungsqualität, die langfristig auch bezahlbar bleibt?

Onkologika sind heute die umsatzstärkste und in Bezug auf die jährlich neu zugelassenen Arzneimittel eindeutig dominierende Wirkstoffgruppe. Die seit 2011 in den USA und Europa für die Behandlung fortgeschrittener solider Tumore und hämatologischer Neoplasien neu zugelassenen Arzneimittel – mehr als 60 für etwa 22 Anwendungsgebiete – signalisieren zweifellos einen wichtigen Fortschritt in der Behandlung von Krebserkrankungen. Voraussetzung für eine gute Versorgungsqualität ist aber nicht nur die Verfügbarkeit vieler neuer Wirkstoffe in der Onkologie, sondern auch, dass die zum Zeitpunkt der Zulassung meist noch offenen Fragen zu Wirksamkeit und Sicherheit der häufig beschleunigt zugelassenen Onkologika durch weitere klinische Studien nach der Zulassung rasch beantwortet werden. Wichtige strategische Fragen für eine gute Versorgung unserer Patienten sind in diesem Zusammenhang beispielsweise: Überlegenheit hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber bereits verfügbaren Therapien (d. h. überzeugend belegter Zusatznutzen); Identifizierung geeigneter Biomarker für die Vorhersage, ob die Krankheit auf die Therapie anspricht; Ersatz langfristig zu verabreichender, mitunter toxischer und auch teurer Therapien durch Kombinationstherapien.

Angesichts der hohen, ständig steigenden Kosten für neue Onkologika und ihres im Vergleich zum Ausland raschen Marktzugangs in Deutschland werden wir im Hinblick auf die Bezahlbarkeit der Onkologika unbedingt über weitere Maßnahmen nachdenken müssen, die zu einer Drosselung der Ausgaben führen, ohne dabei die generell gute Versorgungsqualität zu gefährden. Ich denke in diesem Zusammenhang neben einer regelhaft durchzuführenden späten Nutzenbewertung – vor allem bei nicht belegtem bzw. nicht quantifizierbarem Zusatznutzen – auch an eine generelle Kosten-Nutzen-Bewertung neuer Arzneimittel in der Onkologie und die konsequente Verordnung der in Deutschland inzwischen verfügbaren Biosimilars anstelle der Originalpräparate von Biologika.

Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern ist in Krankenhäusern generell recht gut. Gibt es aus Ihrer Sicht Bereiche, in denen Sie sich noch mehr Engagement der Kolleginnen und Kollegen vorstellen könnten?

Die auch aus meiner Sicht inzwischen recht gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern weiter zu verbessern, war das Ziel einer Maßnahme (29) des Aktionsplans zur Verbesserung der AMTS. Deshalb fand im März diesen Jahres bei der AkdÄ in Berlin ein Workshop zu diesem Thema statt, an dem Ärzte, Apotheker, aber auch Pflegekräfte aus unterschiedlichen Bereichen teilgenommen haben. In einem Thesenpapier der interprofessionell zusammengesetzten Arbeitsgruppen wird zu Recht betont, dass gerade im Bereich der AMTS die Herausforderungen derart groß sind, dass keine Berufsgruppe sie alleine bewältigen kann. Im Rahmen eines „Best-Practice-Model“ für die stationäre Behandlung wurde unter anderem vorgeschlagen, dass sowohl die Medikationsanalyse als auch das Medikationsmanagement – unter Beachtung und Anerkennung der gegenseitigen Kompetenzen bzw. der unterschiedlichen Aufgaben im klinischen Alltag – wichtige Bereiche darstellen, in denen die Zusammenarbeit noch intensiviert werden muss. Hierzu bedarf es natürlich einer ausreichenden personellen Ausstattung sowohl bei Ärzten, Pflegekräften als auch bei Krankenhausapothekern, aber auch deutlich verbesserter Rahmenbedingungen für Medikationsanalyse und Medikationsmanagement (z. B. elektronische Verordnungssysteme, elektronische Medikationsliste, gemeinsame Visiten).

Und last but not least: Was ist in 2018 Ihr größter fachlicher Wunsch bzw. Ihr wichtigstes fachliches Anliegen?

Mein größter Wunsch ist, dass wir bei der Etablierung des elektronischen bundeseinheitlichen Medikationsplans einen deutlichen Schritt vorankommen und die im Rahmen der Evaluation des Medikationsplans in der Versorgung und in Projekten des BMG erkannten Probleme bei der Anwendung des Medikationsplans rasch beseitigen können.

Mein für die Verbesserung der AMTS im Krankenhaus wichtiges fachliches Anliegen ist, dass die oben skizzierten Voraussetzungen für eine Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit bald erfüllt werden (z. B. mehr Krankenhausapotheker auf den Stationen, regelmäßige elektronische Verordnung und elektronische Medikationsliste zumindest in Akutkrankenhäusern, stärkere Nutzung von klinischen Entscheidungssystemen).

Last but not least freue ich mich auf den 5. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie am 18. und 19. Oktober 2018 in Berlin, veranstaltet von der AkdÄ und gefördert durch das Bundeministerium für Gesundheit. Dieser Kongress und die erstmals stattfindende gemeinsame Fortbildungsveranstaltung der AkdÄ und ADKA am 12. November 2018 in Hamburg werden sicher ein geeignetes Forum bieten, um Strategien zur Förderung einer verbesserten AMTS durch interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern vorzustellen und zu diskutieren. Beide Veranstaltungen werden hoffentlich dazu beitragen, dass wir unser gemeinsames Ziel schneller erreichen, nämlich einen organisatorischen Rahmen unter Mitwirkung von Ärzten, Krankenhausapothekern und Pflegekräften zu schaffen, der einen bestmöglichen Einsatz von Arzneimitteln erlaubt, Medikationsfehler reduziert und die Versorgungsqualität der Arzneimitteltherapie weiter verbessert.


Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin, E-Mail: wolf-dieter.ludwig@akdae.de

Dr. Matthias Fellhauer, Apotheke der Schwarzwald Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen GmbH, Klinikstraße 11, 78052 Villingen-Schwenningen, E-Mail: herausgeber-kph@adka.de

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