Kurioses aus der Wissenschaft

Pokémon GO für mehr Bewegung – oder mehr Unfälle


Solvejg Langer, Stuttgart

In den 90er-Jahren waren die kleinen bunten Monster, die Pokémon („Pocket monsters“), in erster Linie Hauptdarsteller einer Fernsehserie und Helden eines Gameboy-Spiels für Kinder. Heute sieht man nicht selten erwachsene Menschen mit vorgehaltenem Smartphone auf der Jagd nach Pikachu und Co „in freier Wildbahn“. „Pokémon GO“ heißt das in der „augmented reality“ (computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung) stattfindende Spiel, bei dem der Spieler durch die Kamera seines Telefons in der realen Welt nach Pokémon suchen kann. Mehr als 500 Millionen mal wurde das Spiel seit Erscheinen im Juli 2016 heruntergeladen. Seitdem wird spekuliert, dass es möglicherweise die Gesundheit der Bevölkerung durch mehr Bewegung verbessern könnte.

In der Weihnachtsausgabe des British Medical Journal, die für ihre humorvollen bis satirischen (aber nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgearbeiteten) Texte bekannt ist, gehen die Autoren der Frage nach, ob sich Pokémon-GO-Spieler tatsächlich mehr bewegen. Dazu wurde die Zahl der gelaufenen Schritte pro Tag vier Wochen vor und sechs Wochen nach Installation des Spiels betrachtet. Die Teilnehmer der Untersuchung waren 18 bis 35 Jahre alt und in der ersten Woche nach Installation des Spiels stieg die durchschnittliche Schrittzahl pro Tag bei den 560 Spielern im Vergleich zur Vorwoche und auch zu den 622 Nichtspielern um fast 1000 auf 5123 Schritte. Allerdings sank sie während der nächsten fünf Wochen wieder auf das Ausgangsniveau.

Die Monster im Taschenformat sind dementsprechend nicht durch übermäßiges Jagen vom Aussterben bedroht, ein Risiko besteht wohl eher für Fußgänger und Autofahrer, die durch das Spiel vom Straßenverkehr abgelenkt werden, worauf eine Autorengruppe in einem Research Letter im JAMA nun aufmerksam machte.

Die Autoren werteten 4000 von 345433 zufällig ausgewählten Posts auf Twitter („Tweets“) aus, die die Suchbegriffe „Pokémon“ und „driving“/„drives“/„drive“/„car“ enthielten (Untersuchungszeitraum 10. bis 20. Juli 2016).

Ein Drittel der Tweets (hochgerechnet mehr als 100000 Fälle innerhalb von 10 Tagen) deutet an, dass Fahrer, Beifahrer oder Fußgänger durch das Spiel vom Straßenverkehr abgelenkt wurden – „My mom just legit stopped the car in the middle of the road to catch a Pokémon …“ – oder sogar verunfallten – „Just saw a kid get clipped by a car trying to catch a Pokémon …“.

So passiert es, dass kleine gelbe Fantasiewesen plötzlich zu einer realen Gefahr werden, der man nun auf unterschiedliche Weise beizukommen versucht: Der Hersteller hat eine Schranke eingebaut, die das Spiel bei einer Geschwindigkeit von über 10 Meilen pro Stunde blockiert, andernorts appeliert man an die Vernunft der Spieler, wie ein Nutzer twittert: „Just passed sign saying ‘Drive now catch Pokémon later.’“ – ob’s hilft?

Literatur

Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist nur für Abonnenten der KPH zugänglich.

Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber KPH-Abonnent?

Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.

Jetzt registrieren