G-BA-Beschluss vom Mai 2019

Erenumab


Dr. rer. nat. Stefan Fischer, Stuttgart

Mit einem Kommentar von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Wie lautet die Zulassung?

Erenumab (Aimovig®) ist angezeigt zur Migräne-Prophylaxe bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat.

Wie lautet der Beschluss des G-BA?

  • Gruppe A. Unbehandelte erwachsene Patienten und Patienten, die auf mindestens eine prophylaktische Medikation nur unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben oder für diese nicht geeignet sind: Zusatznutzen nicht belegt.
  • Gruppe B. Erwachsene Patienten, die auf die medikamentösen Therapien/Wirkstoffklassen Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin nicht ansprechen, für diese nicht geeignet sind oder diese nicht vertragen: Zusatznutzen nicht belegt.
  • Gruppe C. Erwachsene Patienten, die auf keine der genannten medikamentösen Therapien/Wirkstoffklassen (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure, Clostridium botulinum Toxin Typ A) ansprechen, für diese nicht geeignet sind oder diese nicht vertragen: Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen

Was war die zweckmäßige Vergleichstherapie?

  • Gruppe A. Metoprolol oder Propranolol oder Flunarizin oder Topiramat oder Amitriptylin unter Berücksichtigung der Zulassung und der Vortherapie
  • Gruppe B. Valproinsäure oder Clostridium botulinum Toxin Typ A
  • Gruppe C. Best Supportive Care (BSC)

Wie ist die Studienlage?

Für die Gruppen A und B legte der pharmazeutische Hersteller keine Studien vor. Für die Gruppe C reichte er die Studie LIBERTY [1] ein.

LIBERTY

Die Studie schloss Patienten mit durchschnittlich 4 bis 14 Migränetagen ein. Eine zusätzliche Voraussetzung war ein Therapieversagen von zwei bis vier vorausgegangenen Prophylaxen.

Die Patienten wurden alles vier Wochen subkutan mit Erenumab 140 mg (n = 121) oder Placebo (n = 125) zusätzlich zu BSC behandelt.

Nach zwölf Wochen hatten 30 % der Patienten unter Erenumab eine ≥ 50%ige Reduktion der Migränetage pro Monat (vs. 14 % unter Placebo). Bei den Nebenwirkungen gab es keine Unterschiede zwischen Placebo und Verum.

Warum hat der G-BA so entschieden?

Für die Gruppen A und B waren keine Daten vorhanden. Der Zusatznutzen wurde automatisch als „nicht belegt“ eingestuft.

Für die Patienten-Population C hat der G-BA hat eine Teilpopulation der LIBERTY-Studie (n = 193) als Näherung akzeptiert. Der beträchtliche Zusatznutzen in dieser Population basiert vor allem auf der

  • Reduktion der Migränetage pro Monat
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu Woche 12
  • guten Verträglichkeit

Einige Punkte reduzieren die Aussagesicherheit der Ergebnisse. Daher kommt der G-BA nur auf einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen:

  • Patientenpopulation aus einem ausländischen Versorgungssystem
  • Mischung aus Patienten mit episodischer und chronischer Migräne
  • Migränetage pro Monat haben als Studienendpunkt ein hohes Verzerrungspotenzial

Gilt der Zusatznutzen für episodische oder chronische Migräne?

In die LIBERTY-Studie wurden Patienten mit episodischer Migräne eingeschlossen. Im Mittel hatten die Patienten 9,1 Migränetage pro Monat. Aus Sicht des G-BA befanden sich die Patienten im Übergangsbereich zwischen episodischer und chronischer Migräne. Eine Unterscheidung hält der G-BA daher nicht für notwendig. Der Zusatznutzen bezieht sich somit – wie die Zulassung - auf beide Migräneformen.

Quelle

Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss „Arzneimittel-Richtlinie/Anlage XII: Erenumab. https://www.g-ba.de/beschluesse/3770/ (Zugriff am 15.07.19).

Literatur

1. Reuter U, et al. Efficacy and tolerability of erenumab in patients with episodic migraine in whom two-to-four previous preventive treatments were unsuccessful: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3b study. Lancet 2018;392:2280-7.

Kommentar

Bei Patienten mit häufigen oder schweren Migräneattacken, insbesondere bei Patienten bei denen die Akuttherapie nicht ausreichend wirksam ist, besteht die Indikation für eine medikamentöse oder nicht medikamentöse Migräneprophylaxe. Diese wurde bisher mit Beta-Rezeptorenblockern, Flunarizin, Valproinsäure, Topiramat oder Amitriptylin durchgeführt. Bei Patienten mit chronischer Migräne kommt auch Onabotulinumtoxin A zum Einsatz [1]. Alle diese Therapieansätze sind wirksam. Allerdings ist die Compliance nicht sehr gut, da viele Patienten die Therapie wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen abbrechen.

Calcitonin gene related peptide (CGRP) spielt eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne [2, 3]. Es wurden zunächst niedermolekulare Wirkstoffe entwickelt, die als direkte Antagonisten am CGRP-Rezeptor wirken [6]. Diese „Gepante“ werden derzeit zur Behandlung akuter Migräneattacken untersucht [5]. Für die Migräneprophylaxe wurden monoklonale Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor entwickelt. Erenumab ist ein solcher monoklonaler Antikörper, der am CGRP-Rezeptor bindet. In einer Reihe von randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien war Erenumab sowohl bei der episodischen wie bei der chronischen Migräne besser wirksam als Placebo [4, 8]. Untersucht wurden eine 70-mg- und 140-mg-Dosis, die alle vier Wochen subkutan injiziert wird. Die mittlere Reduktion der Migränetage pro Monat liegt zwischen 3,2 und 6,5 Tagen und die 50%-Responderrate bei 40 bis 50 %. Ein besonderer Vorteil von Erenumab ist die gute Verträglichkeit mit wenigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Klinisch relevant sind nur Reaktionen an der Injektionsstelle und Obstipationen.

Es gelten in der Zwischenzeit unterschiedliche Vorgaben für die Zulassung eines neuen Medikaments zur Migräneprophylaxe und für die Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen. Für die Zulassung werden Placebo-kontrollierte Studien gefordert, bei denen Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit nachgewiesen werden müssen. Basierend auf diesen Placebo-kontrollierten Studien wurde Erenumab in Europa zugelassen.

Der gemeinsame Bundesausschuss hat andere Kriterien für die Erstattung durch die Krankenkassen. Hier muss in aller Regel eine Vergleichsstudie zu einer etablierten Substanz für die Migräneprophylaxe vorgelegt werden. Eine solche Studie wäre allerdings organisatorisch und ethisch sehr schwierig durchzuführen gewesen, da Patienten im Rahmen einer solchen randomisierten Studie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Medikament erhalten hätten, das zuvor unwirksam war oder nicht vertragen wurde. Als Alternative wurde die LIBERTY-Studie durchgeführt, die Patienten mit episodischer Migräne einschloss, die auf die gängigen Wirkstoffklassen und Substanzen wie Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure oder Onabotulinumtoxin A nicht ansprachen, für diese nicht geeignet waren oder diese nicht vertragen hatten [7]. Diese Bedingungen sind für Erenumab erfüllt, und die Substanz hat daher für diese Patientengruppe die Erstattungsfähigkeit durch den G-BA erhalten.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich ein grundsätzliches Problem für Firmen, die neue Medikamente entwickeln. Es müssen nicht nur randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien für die Zulassung durchgeführt werden, sondern darüber hinaus weitere Studien, um die Erstattungsfähigkeit im Gesundheitssystem zu erhalten. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Land zu Land. Das erhöht den Aufwand für die Entwicklung neuer Medikamente erheblich.

Leider gibt es bisher keine Vergleichsstudien von monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor im Vergleich zu den traditionellen Migräneprophylaktika. In indirekten Vergleichen ist die Wirksamkeit wahrscheinlich nicht unterschiedlich. Das Verträglichkeitsprofil ist allerdings für monoklonale Antikörper gegen CGRP und den CGRP-Rezeptor deutlich besser.

Literatur

1. Diener H-C, et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie [https://www.dgn.org/leitlinien]. Deutsche Gesellschaft für Neurologie; 2018.

2. Goadsby PJ, Edvinsson L. Sumatriptan reverses the changes in calcitonin gene-related peptide seen in the headache phase of migraine. Cephalalgia 1991;11 (Suppl 11):3–4.

3. Goadsby PJ, Edvinsson L. The trigeminovascular system and migraine: studies characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Ann Neurol 1993;33:48–56.

4. Goadsby PJ, et al. A controlled trial of erenumab for episodic migraine. N Engl J Med 2017;377:2123–32.

5. Moreno-Ajona D, et al. Targeting CGRP and 5-HT1F receptors for the acute therapy of migraine: A literature review. Headache 2019;59(Suppl 2):3–19.

6. Olesen J, et al. Calcitonin gene-related peptide receptor antagonist BIBN 4096 BS for the acute treatment of migraine. N Engl J Med 2004;350:1104–10.

7. Reuter U, et al. Efficacy and tolerability of erenumab in patients with episodic migraine in whom two-to-four previous preventive treatments were unsuccessful: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3b study. Lancet 2018;392:2280–7.

8. Tepper S, Ashina M, Reuter U, Brandes JL, et al. Safety and efficacy of erenumab for preventive treatment of chronic migraine: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 2 trial. Lancet Neurol 2017;16:425–34.

Krankenhauspharmazie 2019; 40(09):455-456